Psychodynamische Modelle

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Weitere psychodynamische Ansätze

Gewisse Psychotherapieverfahren werden als psychodynamisch bezeichnet, nämlich solche Verfahren, die sich von der Psychoanalyse in engerem Sinn abgrenzen, aber dennoch dem psychodynamischen Modell verpflichtet sind.

Als psychodynamische Psychotherapie werden Verfahren bezeichnet, die den unbewusst ablaufenden Prozessen eine wichtige Bedeutung für das menschliche Erleben und Verhalten sowie für die Entstehung und Chronifizierung bestimmter seelischer Erkrankungen beimessen.

 

Viele Theorien in der Tradition von Freud nahmen umfangreiche Änderungen an der psychoanalytischen Sicht der Persönlichkeit vor. Im Allgemeinen führten die Theoretiker in der Tradition von Freud folgende Veränderungen ein (Zimbardo & Gerrig, 2008):

  • Sie legen grösseren Wert auf die Ich-Funktionen, einschließlich der Abwehrmechanismen des Ich, der Entwicklung des Selbst, der bewussten Denkprozesse und der Selbststeuerung.
  • Sie sind der Ansicht, dass die sozialen Variablen (Kultur, Familie und Peers) eine wichtige Rolle bei der Formung der Persönlichkeit spielen.
  • Sie legen weniger Wert auf die Bedeutung sexueller Triebe oder libidinöser Energie.
  • Sie haben die Persönlichkeitsentwicklung über die Kindheit hinaus auf die gesamte Lebensspanne ausgeweitet.

Beurteilung und Kritik psychodynamischer Modelle

Comer (2008) führt folgende Kritikpunkte gegenüber den psychodynamischen Modellen ins Feld:

Freud und seine zahlreichen Nachfolger beeinflussten das Verständnis und die Therapie psychischer Störungen tiefgreifend. Ihre Theorien über Persönlichkeit und psychische Störungen beanspruchen einen weiten Geltungsbereich. Vor allem aufgrund ihrer Pionierarbeiten sucht heute ein breites Spektrum von Theoretikern ausserhalb der Grenzen biologischer Prozesse nach Antworten und Erklärungen. Sie stützen sich auf weniger greifbare Begriffe, zum Beispiel untergründige Konflikte, gelernte Gewohnheiten, kognitive Prozesse, menschliche Werte. Zudem haben die von Freud und seinen Anhängern entwickelten psychotherapeutischen Techniken bewiesen, wie wirksam eine psychologische Behandlung sein kann, und zur Entwicklung zahlreicher weiterer derartiger Methoden geführt (Comer, 2008).Die psychodynamisch orientierten Theoretiker haben darauf hingewiesen, dass gestörtes Erleben und Verhalten in denselben Vorgängen wurzeln kann wie normales. Psychische Konflikte beispielsweise sind eine universelle Erfahrung; sie führen, psychodynamisch betrachtet, nur dann zu Störungen, wenn der Konflikt übermächtig wird. Diese Auffassung spricht für eine humane und respektvolle Einstellung gegenüber Menschen, die als psychisch gestört gelten.Andererseits weist das psychodynamische Modell Lücken und Begrenzungen auf. Begriffe sind schwierig zu definieren und empirisch zu überprüfen. Da Prozesse wie Es-Triebe, Abwehrmechanismen und Fixierung abstrakt sind und auf unbewusster Ebene wirken, ist es oft schwer festzustellen, ob sie tatsächlich stattfinden. Psychodynamische Erklärungen sind deshalb oft nicht wissenschaftlich geprüft, und psychodynamisch orientierte Theoretiker arbeiten mit Einzelfallstudien, um ihre Theorien zu stützen. Fallstudien liefern keine zwingenden Beweise für theoretische Erklärungen.Unter anderem aufgrund dieser Schwierigkeiten sind in den letzten Jahrzehnten behavioristische, kognitive und humanistisch-existenzielle Modelle enstanden. Diese neueren Erklärungen und Therapieformen unterscheiden sich oft deutlich vom psychodynamischen Ansatz, doch sie wurzeln alle in irgendeiner Weise in diesem. Da viele der BegründerInnen dieser Modelle in der psychodynamischen Tradition ausgebildet waren, behielten die neuen Modelle oft bestimmte Begriffe aus dem psychodynamischen Repertoire bei. Ausserdem ist der psychodynamische Ansatz im klinischen Bereich heute immer noch einer der am breitesten angewandten, auch wenn die alternativen psychologischen Modelle beträchtlich an Boden gewonnen haben (Comer, 2008).

Weiterführende Literatur

Ausführlicher Artikel zur Psychodynamik im Handbuch psychoanalytischer Grundbegriffe:
Mertens, W. (Hrsg.). (2014). Handbuch psychoanalytischer Grundbegriffe (4., überarb. und erweiterte Auflage). Stuttgart: Kohlhammer.

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