Humanistische Modelle

42 Humanistische Psychologie und Heilpädagogik

Humanistische Psychologie und Heilpädagogik

Zur Beziehung zwischen humanistischer Psychologie und Heilpädagogik schreibt Gröschke:

Trotz aller (gebotenen) Kritik an den philosophisch-theoretischen Grundlagen der humanistischen Psychologie soll ihr konstruktiver Beitrag zur psychologischen Handlungsorientierung im pädagogischen Feld nicht gering geschätzt werden. Ihr Menschenbild unterstützt den erzieherischen Optimismus, ohne den Erziehung — vor allem eine solche unter erschwerten Bedingungen — schlechterdings nicht möglich ist. Und sie betont die Rolle der Werte und der Werthaltungen im Prozess jeder zwischenmenschlichen Beziehungsgestaltung, ein in sich wertvolles Heilmittel gegen instrumentalistische und technologische Verkürzungen von Erziehung und Therapie. Die bekannten Basismerkmale hilfreicher Beziehungsgestaltung, die Rogers ursprünglich als die entscheidenden Therapeutenvariablen der Gesprächspsychotherapie empirisch ermittelt hatte, erwiesen sich auch im erzieherischen Verhältnis als bedeutsam (vgl. Tausch u. Tausch 1981). Sie beschreiben in der Tat eher ein Wertesyndrom, als dass sie im methodischen Sinne Verhaltensvorschrifren wären (Gröschke, 1992, S. 127 ff.):

  • Einfühlendes und nicht-wertendes Verstehen (Empathie, die «Fähigkeit, den anderen und seine Welt mit seinen Augen zu sehen», seinen inneren «Bezugsrahmen» wahrzunehmen)
  • Achtung und Wohlwollen (emotionale Wärme, «Achten, Wärme, Sorgen», Tausch u. Tausch 1981, S. 117)
  • Nicht-Direktivität (keine Lenkung oder Kontrolle, da jede Person ihrem eigenen «inneren Leitstern» folgen kann)
  • Echtheit und Selbstkongruenz (Authentizität, Selbsttransparenz der Erzieher oder Therapeuten).

 

Heilpädagogische Implikationen aus der Sicht von Bundschuh (2008, S. 284):

Bemühungen um persönliche Wertschätzung, emotionale Wärme, Echtheit und Einfühlung/Verstehen sollten die Grundlage für die Begegnung mit Menschen mit Behinderungen bilden. Akzeptanz, Kongruenz und Empathie gehören zu den Grundhaltungen jedes Einzelgespräches, sei es mit den Erziehungsberechtigten oder mit den Betroffenen selbst. Dass es allerdings hierbei Widerstände und Probleme in der heilpädagogischen Wirklichkeit gibt, kann nicht bezweifelt werden. Vor allem die wissenschaftliche Forschung sollte sich stärker um die Erhellung dieser spezifischen zwischenmenschlichen Probleme bemühen. Sie sollte die Möglichkeiten, aber auch Probleme des Transfers dieser Therapieform in das heilpädagogische Arbeitsfeld (Schule zur Erziehungshilfe, Schulen für Kinder mit Behinderungen, Freizeitbereich, Alltagswirklichkeit) ins Bewusstsein heben. Die Atmosphäre des Akzeptierens, des Verstehens und des Respekts hält Rogers für die wichtigste Basis zur Förderung des Lernens. Hieraus lässt sich die Begründung eines schülerzentrierten bzw. schülerorientierten Unterrichts ableiten.
Im Zusammenhang mit spezifischen Erfahrungen, der individuellen Lerngeschichte und daraus hervorgehenden speziellen Erziehungs- und Förderungsbedürfnissen von Kindern mit Behinderungen empfehle ich ein «kind- oder kinderorientiertes» Erziehen und Unterrichten in einer «Schule für kinderorientiertes Lernen» (Bundschuh 1987b, 184—191; 1989, 235—245), die allen Schülern offenstehen könnte. Ein bestimmtes Mass an Erfahrungen, die nicht mit der Struktur des Selbstkonzeptes übereinstimmen, wird als Bedrohung wahrgenommen, hat eine Erstarrung der Selbst-Struktur und damit eine psychische Störung zur Folge. Diese Tatsache fordert Heilpädagogen heraus, sich mit den individuellen Erfahrungen, Wahrnehmungen und der subjektiven Bedeutsamkeit dieser Erfahrungen für Menschen mit Behinderungen intensiver auseinanderzusetzen als bisher. Dies gilt für Interaktionen mit Einzelpersonen und für die heilpädagogische Forschung im Allgemeinen.

Handlungsmöglichkeiten des schülerzentrierten Ansatzes

Hartke und Vrban (2009) nennen folgende praxisrelevante Aussagen aus dem schülerzentrierten Ansatz:

Unbefriedigte Bedürfnisse verhindern Lernen: Biologische, soziale und psychische Bedürfnisse kennzeichnen die menschliche Existenz. Erst wenn biologische und soziale Bedürfnisse im Wesentlichen befriedigt sind, entstehen Bedürfnisse nach psychischem Wachstum, wie das Bedürfnis nach Wissen und Verstehen sowie kulturellen Aktivitäten. Befriedigte Überlebens-, Sicherheits-, Dazugehörigkeits­bedürfnisse; Liebes- und Achtungsbedürfnisse ermöglichen es der Person, individuelle kulturelle Interessen zu entwickeln und aktiv am schulischen Lernen teilzunehmen.

Vertrauensvolle Beziehungen zwischen erziehenden Personen und Kindern fördern das Lernen: Bestimmte erzieherische Verhaltensweisen erleichtern Kindern das Lernen, andere erschweren es. Als günstig erweist sich ein Erziehungsstil mit einem mittleren Mass an Lenkung in Verbindung mit einem hohen Mass an Wertschätzung, emotionaler Wärme und Zuneigung.

Unnötige einschränkende Vorschriften und äussere Anreize beeinträchtigen die natürliche Lernbereitschaft von Kindern: Menschen wollen lernen, um ihre Potenziale zu aktualisieren, und sie möchten den Lernprozess mitbestimmen. Ein selbstinitiiertes Lernen ist in seinen Ergebnissen am dauerhaftesten und setzt persönliche Wachstumskräfte frei.

Persönliche Probleme und Konflikte in und zwischen Personen können das Lernen beeinträchtigen: Schwierige Situationen in Klassen können dadurch bedingt sein, dass 1) das Kind ein Problem hat, 2) der Lehrer ein Problem hat oder 3) ein Konflikt zwischen Personen in der Klasse besteht, also Schüler-Schüler- oder Lehrer-Schüler-Konflikt (Gordon, 1989).

Literatur

Hartke, Bodo & Vrban, Robert. (2011). Schwierige Schüler – 49 Handlungsmöglichkeiten bei Verhaltensauffälligkeiten. [1.-4. Klasse] (5. Aufl.). Buxtehude: Persen.

Video: facilitatives vs. interaktionelles Arbeiten mit Jugendlichen

Im folgenden Video zeigt Prof. Dr. Michael Behr an zwei Beispielen mit Jugendlichen den facilitativen und den interaktionellen Modus (Video aufgenommen an den Fortbildungstagen HfH im Januar 2014).

 

 

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