Psychodynamische Modelle

8 Psychoanalytische Konzepte

Psychoanalytische Konzepte

Bild von Anne Kneisel: Eine Art farbige Wolken in Kopfform über dem Wasser.
(c) Anne Kneisel

Der theoretische Hintergrund der Psychoanalyse ist eng mit Freuds praktischer Tätigkeit und seinen persönlichen Erfahrungen verbunden. Anfänglich verwendete Freud ein Hypnoseverfahren, später entwickelte er daraus die Methode der freien Assoziation. Mit der Traumdeutung (1900) entwickelte Freud die Kernkonzepte des psychoanalytischen Theoriegebäudes, nämlich die Systeme unbewusst, vorbewusst und bewusst. Die psychoanalytische Technik soll den Zugang zum Unbewussten ermöglichen (Kriz, 2007).

Weitere zentrale Konzepte neben der freien Assoziation sind der Widerstand (Widerstand des Patienten gegen die Auseinandersetzung mit dem Unbewussten), die Übertragung frühkindlicher affektiver Erlebnisse und Verhaltensmuster des Klienten auf den Therapeuten und die Gegenübertragung (die gefühlsmässige Reaktion des Therapeuten auf die Übertragung).

Sigmund Freuds Theoriengebäude war anfänglich stark von durch den Zeitgeist bedingten mechanistischen Ideen geprägt; dies zeigt sich in Begriffen wie Trieb, Libido, psychischer Apparat etc. Erst nach 1920 rückte im strukturellen Persönlichkeitsmodell das Ich in das Zentrum der psychoanalytischen Betrachtungsweise (Das strukturelle Persönlichkeitsmodell wird auch Strukturmodell oder Instanzenmodell genannt). Neurotisches Verhalten wurde nun auf einen Konflikt zwischen den Instanzen des seelischen Apparats zurückgeführt: dem Es, dem Ich und dem Über-Ich (Kriz, 2007).

Später, und besonders nach Freuds Tod, konzentrierte sich die Aufmerksamkeit auf die Funktionen des Ich. Hierzu gehören z. B. Bewusstsein, Wahrnehmung, Denken, Sprache, Intention, Planung, Abwehrmechanismen, Selbstkontrolle, Frustrations- und Affekttoleranz, Selbst-Objekt-Differenzierungen, Funktionen also, die dem Individuum eine adäquate Lebensführung und Problembewältigung ermöglichen (Kriz, 2007).

Nach Freuds Tod erfolgte eine Erweiterung der psychoanalytischen Betrachtungsweise: Zunehmend wurde den strukturellen Deformationen innerhalb der Ich-Funktionen erhöhte Aufmerksamkeit geschenkt, Deformationen also, welche das Ich bereits in allerfrühester Kindheit gar nicht erst zu einer angemessenen Entwicklung kommen lassen. Hiermit versucht man in der neueren Entwicklung der Psychoanalyse einige Formen von Psychose, Schizophrenie, Borderline-Syndrome und eine Reihe psychosomatischer Störungen zu erklären (Kriz, 2007).

Schematische Zeichnung eines menschlichen Kopfes, aus dem die Gedanken in Blasen aufsteigen.
(c) www.realpsychology.com

Die Ich-Psychologie war zwischen 1940 und 1980 die vorherrschende Richtung psychoanalytischen Denkens. Hier spielten Margaret Mahlers Konzepte der Trennungs- und Individuationsprozesse eine zentrale Rolle: Nach einer frühen autistischen Phase des Säuglings (bis zum 1. Lebensmonat) ist demnach eine symbiotische Bindung an die Mutter unabdinglich für das Wohlergehen des Kindes. In diesem Entwicklungsstadium gibt es noch kein Ich, das von einem Nicht-Ich unterschieden wäre — Innenwelt und Aussenwelt werden somit erst langsam, in der Differenzierungsphase, als unterschiedlich wahrgenommen (Mahler, Pine & Bergman, 1980) (Kriz, 2014, S. 42).

Ich-Psychologie beschäftigt sich mit der Frage, wie es Menschen gelingt, sich an die Welt, in der sie leben, anzupassen. Anpassung wird dabei als das Ergebnis eines fortdauernden Entwicklungsprozesses angesehen, in dessen Verlauf bestimmte seelische Funktionen, welche sich auf der Basis angeborener Gegebenheiten innerhalb von emotional bedeutsamen Beziehungen entfalten, eine zunehmende funktionale Selbständigkeit erlangen.

Dabei geht es um Fragen der Entwicklung von Beziehungsstrukturen ebenso wie um die Regulation von Selbst- und Selbstwertgefühl, aber auch um Aspekte der Entwicklung der Motorik oder der Denk- und Wahrnehmungsfunktionen (Mertens, 2014, S. 399/Hartkamp).

Die von manchen Psychoanalytikern als zunehmend eingestufte Tendenz zu Störungen der Ich-Funktionen wird mit gesellschaftlichen Entwicklungen in Zusammenhang gebracht, welche das Entstehen eines Verlust-Traumas bereits in allerfrühester Kindheit begünstigen (Kriz, 2007).

 

Konflikttheorien

Konflikttheorie: das Strukturmodell

Die psychoanalytische Methode soll helfen, die Dramatik im Erleben des jungen Kindes nachvollziehen zu können. Die Psychoanalyse liefert eine Konflikttheorie, die es ermöglicht, die Eingebundenheit des Subjekts in äussere wie innere Spannungsfelder angemessen zu erfassen.

Das Bild zeigt zwei schematisch gezeichnete ziegenähnliche Tiere, die mit den Hörnern zusammenstossen.
(c) Foto: Jeger, pixelio

Die Konflikttheorie bildet den Ursprung des psychoanalytischen Denkens. Sie basiert auf einem Trieb oder Antrieb, der als Wunsch erlebt wird, und dessen Hemmung oder Abwehr. Abwehr ist ein dynamischer Vorgang, der das Bewusstsein vor den gefährlichen, konflikthaften, inneren wie auch äusseren Reizen schützen soll. Konflikte entstehen, wenn die innere Balance zum Austarieren der inneren oder äusseren Bedrohungen nicht mehr gegeben ist und in der Folge ein für das Individuum unangenehmer Zustand entsteht.

Nun setzt unbewusst die Verarbeitung des inneren Konflikts zwischen Impuls und Abwehr ein, wobei die Abwehr eine zentrale Position einnimmt.

So kann z.B. einem Wunsch nach erotischer Annäherung eine unbewusste Hemmung entgegenstehen, weil die Verletzung eines Tabus droht. Daraus resultiert ein Konflikt zwischen dem Es und dem Über-Ich, der das Ich heftig herausfordert.

Deshalb ist die psychoanalytische Konflikttheorie untrennbar mit dem psychoanalytischen Strukturmodell verbunden, welches diese drei Segmente beinhaltet: Das Es als Triebsystem, Ich und Über-Ich als Steuerungssysteme. (Gerspach, 2009, S. 64)

Grundkonflikte (nach OPD)

Ein bedeutsamer intrapsychischer unbewusster Konflikt ist z. B. jener zwischen den Wünschen nach Abhängigkeit und jenen nach Autonomie. Dass Konflikte entstehen, ist ein entwicklungspsychologisch gesehen völlig normales Phänomen. Erst wenn eine Lösung der Konflikte nicht gelingt, kommt es zu einer seelischen Fehlentwicklung mit der Ausbildung von Symptomen (Gerspach, 2009).

Je nach theoretischem Hintergrund der Autoren gibt es mehr oder weniger Konflikte, die begrifflich voneinander abgegrenzt werden. Gemäss psychoanalytischem Verständnis gibt es aber einen Grundkonflikt, der als zentraler infantiler Konflikt in der Lebensentwicklung eines Menschen beschrieben wird. Um diesen Grundkonflikt zu bewältigen, ist es erforderlich, sich zwischen zwei widersprüchlichen Zielen zu entscheiden und so die Lösung des Konflikts zu ermöglichen.

Die psychodynamische Betrachtungsweise betrachtet die Grundkonflikte als Bestandteil der menschlichen Entwicklung unter dem Blickwinkel der Konfliktverarbeitung. Ein differenziertes und auch in der diagnostischen Praxis anerkanntes Modell der unbewussten Konflikte wird in der Operationalisierten Psychodynamischen Diagnostik (OPD) beschrieben. Die OPD unterscheidet acht unbewusste Konflikttypen (siehe folgenden Exkurs). Im diagnostischen Prozess wird der Patient gemäss dem Stand seiner Entwicklung und Reifung in die vorgegebenen Konflikttypen eingeordnet. Eine eindeutige Zuordnung eines Individuums zu einem einzigen Konflikttypus ist allerdings eher selten möglich, weil häufig mehrere Konflikte neben dem Grundkonflikt eine Rolle spielen.

Grundkonflikte nach der Operationalisierten Psychodynamischen Diagnostik (OPD)
  1. Abhängigkeit vs. Individuation: Im einen Extrem würde ein Mensch mit diesem Grundkonflikt eine Abhängigkeit erzeugende Beziehung suchen als willkommene Abhängigkeit, im anderen Extrem dagegen eine emotionale Unabhängigkeit aufbauen und die Bindungswünsche unterdrücken.
  2. Unterwerfung vs. Kontrolle: Im einen Extrem nimmt der Mensch die Gegebenheiten hin als Schicksal, dem er sich fügt, dabei sind Erleben und Verhalten geprägt von Gehorsam und Unterwerfung. Im anderen Extrem bestimmen Kontrolle und Auflehnung (Bekämpfen) das Erleben und Verhalten.
  3. Versorgung vs. Autarkie: Im einen Extrem führen Versorgungs- und Geborgenheitswünsche zu starker Abhängigkeit, und der Mensch wirkt passiv und anklammernd. Im anderen Extrem nimmt der Mensch keine Hilfe an und wehrt die Wünsche nach Hilfe ab, indem er sich als anspruchslos darstellt. In einer altruistischen Konfliktverarbeitung bekommen Andere die Versorgung, nach der er sich selbst unbewusst sehnt.
  4. Selbstwert vs. Objektwert: Es bestehen Selbstwertkonflikte, die im einen Extrem als Minderwertigkeit erlebt werden, während andere aufgewertet oder idealisiert werden. Im anderen Extrem werden kompensatorische Anstrengungen erbracht, die das Selbstbild bis hin zum Grössenwahn stützen, während andere abgewertet werden.
  5. Über-Ich- und Schuldkonflikte: Im einen Extrem führt die Schuldübernahme bis zur masochistischen Unterwerfung. Im anderen Extrem sieht der Mensch die Schuld nur beim anderen, wobei ihm jegliche Form eines eigenen Schuldgefühls fehlt.
  6. Ödipal-sexuelle Konflikte: Im einen Extrem nimmt der Mensch seine Erotik und Sexualität nicht wahr, im anderen Extrem bestimmt sie alle Lebensbereiche, ohne dass eine Befriedigung gelingt. Dies meint nicht sexuelle Funktionsstörungen anderer Herkunft.
  7. Identitätskonflikte: Bei sonst hinreichenden Ich-Funktionen übernimmt der Mensch die Geschlechts-, Rollen oder Gruppenidentität anderer oder überspielt die Identitätsambivalenz kompensatorisch.
  8. Fehlende Konflikt- und Gefühls-Wahrnehmung: Bei diesem Grundkonflikt werden Konflikte, Gefühle und Bedürfnisse bei sich und anderen nicht wahrgenommen, oder sie werden durch sachlich-technische oder philosophische Beschreibungen ersetzt.
(zitiert nach Wikipedia)

 

Lietratur: Arbeitskreis OPD (Hrsg.). (2006). Operationalisierte psychodynamische Diagnostik OPD-2. Das Manual für Diagnostik und Therapieplanung. Bern: Huber.

 

Es, Ich, Über-Ich

In seinem Strukturmodell (auch Instanzenmodell) beschrieb Freud den immerwährenden Kampf zwischen zwei gegnerischen Instanzen der Persönlichkeit — dem Es und dem Über-Ich. Der dritte Aspekt des Selbst, das Ich, tritt in diesem Kampf als Vermittler auf (Zimbardo & Gerrig, 2008, S. 617).

Es

Das Es repräsentiert die grundlegenden Triebe. Es handelt irrational, auf Impulse hin und drängt nach Ausdruck und unmittelbarer Befriedigung, ohne zu berücksichtigen, ob das Gewünschte realistisch und möglich, sozial wünschenswert und moralisch akzeptabel ist. Das Es wird vom Lustprinzip beherrscht, dem unregulierten Drang nach Befriedigung — insbesondere sexueller, körperlicher und emotionaler Lüste, die hier und jetzt erfahren werden wollen, ohne Rücksicht auf die Konsequenzen (Zimbardo & Gerrig, 2008, S. 617).

Über-Ich

Das Bild zeigt einen transparenten Menschenkopf, in dessen Innern sich die drei Instanzen als kleine Figuren gegenüberstehen und miteinander sprechen.
(c) freudsigmund.blogspot.com

Das Über-Ich repräsentiert die Werte eines Individuums, einschliesslich der moralischen Einstellungen, die von der Gesellschaft gelernt wurden. Das Über-Ich entspricht in etwa der landläufigen Vorstellung von Gewissen. Es entwickelt sich, indem das Kind nach und nach die Verbote der Eltern und anderer Erwachsener bezüglich gesellschaftlich unerwünschter Handlungen zu seinen eigenen Werten macht. Es ist die innere Stimme des Sollens und des Nicht-Sollens. Das Über-Ich schliesst auch das Ich-Ideal ein, die Ansicht einer Person darüber, was für ein Mensch sie versuchen sollte zu werden. Das Es will tun, was sich gut anfühlt, während das Über-Ich darauf besteht, das zu tun, was richtig ist (Zimbardo & Gerrig, 2008, S. 617).

Ich

Das Ich ist der realitätsgebundene Aspekt des Selbst, der den Konflikt zwischen den Impulsen des Es und den Anforderungen des Über-Ich schlichtet. Das Ich repräsentiert die persönliche Sicht einer Person auf die materielle und soziale Realität — ihre bewussten Überzeugungen über die Ursachen und Konsequenzen von Verhalten. Ein Teil der Aufgaben des Ich besteht darin, Handlungen auszuwählen, welche die Impulse des Es befriedigen, ohne unerwünschte Konsequenzen zu haben. Das Ich wird vom Realitätsprinzip beherrscht, das vernünftige Entscheidungen über lustorientierte Begierden stellt (Zimbardo & Gerrig, 2008, S. 617).

Das Ich ist jenes Funktionenbündel, das sich im Dienst des Austauschs mit den jeweils relevanten Umwelten herausbildet und selbst- wie objekterhaltend tätig ist. Einige sogenannte Ich-Funktionen sind z. B.: Wahrnehmen, Urteilen, Steuern, Antizipieren, Aufschieben. Das Ich bündelt psychische Energie und vermittelt gegensätzliche Kräfte aus Es und Über-Ich. (Mertens & Waldvogel, 2008)

Das folgende Video stellt das Zusammenspiel von Es, Ich und Über-Ich anschaulich szenisch dar, mit Kommentaren von Sigmund Freud (aus einem alten Lehrfilm, (c) The Phoenix Learning Group Inc.).

 

Bereiche des Bwusstseins

Im Zusammenhang mit den oben beschriebenen drei psychischen Instanzen unterscheidet Freud drei Bereiche des Bewusstseins nämlich das Bewusste, das Vorbewusste und das Unbewusste.

Das Bewusste

Bild eines Eisbergs, dessen grösster Teil unter Wasser und deshalb nicht sichtbar ist.Die Aufgabe des Ich, zwischen den Anforderungen des Es und denen des Über-Ich eine realitätsangepasste Synthese zu finden, gehört zum Bewussten (Bewusstsein), da sich das Ich dabei der willkürlichen körperlichen Bewegungen, der Wahrnehmung, des Gedächtnisses usw. bedient (Kriz, 2007).
Das Bild des Eisbergs veranschaulicht, dass gemäss der Theorie Freuds nur etwa 10 bis 20 Prozent der psychischen Inhalte dem Bewusstsein zugänglich sind (siehe Exkurs weiter unten).

Das Unbewusste

Gewisse Teile des Gefüges aus Geboten, Verboten und moralischen Wertvorstellungen (die zum Über-Ich gehören) sind zwar bewusst. Andere Wertvorstellungen und soziale Anforderungen wurden schon in frühester Kindheit übernommen und sind nicht bewusst (oder nicht mehr bewusst). Diese Anforderungen können sogar verleugnet werden, obwohl eine Person konkret danach handelt. Unbewusst ist aber vor allem das gesamte Es mit seinen vitalen Triebansprüchen (Kriz, 2007).

Der Bereich des Unbewussten kann zusätzlich differenziert werden:

Deskriptiv Unbewusstes: Der mentalen Vergegenwärtigung und sprachlichen Reflexion aktuell oder vorübergehend nicht zugänglich.
Dynamisch Unbewusstes: Der mentalen Vergegenwärtigung und sprachlichen Reflexion dauerhaft durch Abwehrprozesse entzogen. Die dynamisch unbewussten Inhalte sind der Vergegenwärtigung entzogen, weil sie, ihres bedrohlichen oder verpönten Charakters wegen, die Stabilität des Ich bedrohen.

Das Vorbewusste
Das Vorbewusste enthält jene psychischen Inhalte, welche zwar momentan im Bewusstsein nicht präsent sind, aber nahezu beliebig reproduziert und erinnert werden können. Es handelt sich also um bewusstseinsfähiges Material, das nicht verdrängt wurde, sondern das temporär aus dem aktuellen Bewusstsein zurückgetreten ist, um damit die Funktionstüchtigkeit des Organismus zu erhöhen (Kriz, 2007).

Exkurs: Das Eisbergmodell

Das Eisbergmodell wird in verschiedenen Disziplinen zur Veranschaulichung verwendet, so vor allem in den Theorien zur zwischenmenschlichen Kommunikation (Quelle: Wikipedia).

Das Eisbergmodell

Der Traum

Der Traum war für Freud «der Königsweg» zur Entdeckung des Unbewussten. Die in der Traumdeutung aufgedeckten Mechanismen finden sich in anderen Erscheinungsformen des Unbewussten wieder, z. B. in Fehlleistungen, Versehen, Versprechern etc. Freud nahm an, dass das unbewusste Es an der Traumbildung einen wesentlichen Anteil hat. Im Traum werden viele Eindrücke aus früher Kindheit und andere vergessene Szenen reproduziert, allerdings meist entstellt (Kriz, 2007).

Künstlerisches Bild einer menschlichen Figur, die zwischen Hausfassaden im Raum schwebt.
(c) Bild: Richard Wilkinson

Freud hat den Traum auch als «Hüter des Schlafes» bezeichnet: Das Ich setzt dabei Bedürfnissen und Ansprüchen, die sonst zum Erwachen führen würden, eine harmlose Wunscherfüllung entgegen, etwa wenn das Hungergefühl durch einen Traum beschwichtigt wird, in dem man etwas isst. Wenn allerdings der Drang zu gross wird, wacht der Schläfer auf. Die Ansprüche stammen insbesondere aus dem Es, also aus dem Unbewussten, wo sie im Wachzustand erfolgreich verdrängt werden, im Schlafzustand aber durch einen Traum in entstellter und damit relativ harmloser Form eine Wunscherfüllung erfahren, womit das Ich die Störung des Schlafes beseitigen möchte (Kriz, 2007).

Die Deutung von Träumen hat im psychoanalytischen Setting einen hohen Stellenwert, weil durch den Traum unbewusstes Material an die «Oberfläche» befördert und der Bearbeitung zugänglich gemacht wird. Für die Deutungsarbeit allgemein — und auch die mit Traummaterial — gilt, dass es keine allgemein gültigen Deutungen gibt. Vielmehr arbeiten im Deutungsprozess Patient und Therapeut gemeinsam an der Offenlegung der unbewussten Bedeutung, und zwar in einem langen Prozess, in dem durchaus auch zunächst gebildete Hypothesen wieder verworfen werden können.

Es geht dabei um eine Rekonstruktion und Einsicht in die Dynamik des frühkindlichen Konfliktes, der der jeweiligen Störung zugrunde liegt, und nicht um eine präzise Zuordnung zwischen einzelnen Traumelementen und deren Bedeutung. Da sich der Konflikt besonders in charakteristischen Abwehrmustern manifestiert, geht es bei der Deutungsarbeit eher um die Analyse dieser Abwehrmuster bzw. der Widerstände in der Arbeit an den Inhalten, als um eine symbolhafte Deutung der Inhalte selbst (Kriz, 2007).

Manifester vs. Latenter Trauminhalt

Freud definierte zwei Arten des Trauminhalts, den manifesten und den latenten. Der manifeste Inhalt ist der bewusst erinnerte Traum, der nach dem Aufwachen mehr oder weniger genau erinnert wird. Der latente (versteckte) Inhalt wird nicht erinnert, sondern muss in seiner symbolischen Bedeutung erschlossen werden. Hier zeigen sich die eigentlichen Motive, die nach Ausdruck suchen, jedoch so schmerzvoll oder inakzeptabel sind, dass sie nur in versteckter oder symbolischer Form ausgedrückt werden können. Um einen Traum zu deuten, muss der Therapeut dessen manifesten Inhalt in den latenten übersetzen. Jeder Traum ist einzigartig und hat nur für den jeweiligen Träumer Bedeutung.

PsychoanalytikerInnen glauben, dass Träume eine gute Quelle für Informationen über die  unbewussten Motivationen des Patienten sind. Im Schlaf, so wird angenommen, ist das Über-lch weniger wachsam gegenüber den inakzeptablen Impulsen des Es, so dass ein Motiv, das im wachen Zustand nicht ausgedrückt werden kann, vielleicht im Traum offen gelegt wird.

Therapeuten versuchen mit Hilfe der Traumanalyse, diese versteckten Motive zu enthüllen. Dabei handelt es sich um eine therapeutische Technik, mit der man den Inhalt von Träumen einer Person untersucht, um die dahinter verborgenen oder versteckten Motivationen und symbolischen Bedeutungen wichtiger Lebenserfahrungen und Wünsche zu entdecken (Zimbardo & Gerrig, 2008).

Ausführlicher Artikel zum Traum im Handbuch psychoanalytischer Grundbegriffe:

Leuschner, W. (2014). Traum. In W. Mertens (Hrsg.), Handbuch psychoanalytischer Grundbegriffe (4., überarb. und erweiterte Auflage, S. 954–962). Stuttgart: Kohlhammer.

Originaltext Freud: Freud, S. (1900). Die Traumdeutung. GW.

Abwehr

Als Abwehr bezeichnet die Psychoanalyse jede psychische Aktivität, die darauf abzielt, psychischen Schmerz in all seinen möglichen Formen zu vermeiden (Müller-Pozzi, 2002). Eine Wahrnehmung, eine Erinnerung oder ein Handlungsimpuls wird abgewehrt (unbewusst), weil die bewusste Konfrontation damit Unlust bereitet.
Die Abwehr ist ein dynamischer Vorgang, der das Bewusstsein vor unangenehmen, aber auch vor gefährlichen, konflikthaften, inneren wie auch äusseren Reizen schützen soll (Gerspach, 2009).

Eine Karikatur, die zeigt wie ein Strauss und ein Mensch gemeinsam die Köpfe in den Sand stecken.
(c) psychologytoday.com

Die Abwehrmechanismen gehören zu den Funktionen des Ich und dienen der Wahrnehmung und Bewältigung der psychischen Realität. Eine Wahrnehmung verfällt der Abwehr, wenn die bewusste Konfrontation damit dem Ich Unlust bereitet. Allgemein richtet sich die Abwehr gegen alles, was Angst hervorrufen kann: Emotionen, bestimmte Situationen, Vorstellungen, Über-Ich-Forderungen etc. Dabei kann sich die Abwehr der verschiedensten Aktivitäten bedienen (Arbeitskreis OPD, 2006).

Die Abwehr ist im Dienste der Unlustvermeidung funktional, wenn sie die Wahrnehmung der unangenehmen Konfrontation umgeht. Das gelingt durch bestimmte Mechanismen wie Verdrängung als der zentralen Leistung des Unbewusstmachens, sowie durch weitere Abwehrmechanismen wie Leugnung, Isolierung, Ungeschehenmachen, Projektion, Regression Rationalisierung etc. (Freud, 1964).

Das klassische Konzept der Abwehr geht davon aus, dass Abwehr als solche nicht pathologisch ist, da sie zugleich die Voraussetzung für die Charakterbildung ist. Die Ich-Stärkung und mit ihr die Abwehrorganisation sind für die kindliche Entwicklung entscheidend und ebenso wichtig wie die Entwicklung der Triebe (Mertens, 2014, S. 7 /Küchenhoff).

Abwehrmechanismen

Karikatur eines Tintenfisches, der eine grosse violette Tintenwolke ausstösst.Abwehrmechanismen sind mentale Strategien, mit denen sich das Ich gegen den täglichen Konflikt zwischen Impulsen des Es, die nach Ausdruck verlangen, und der Forderung des Über-Ich, diese zu verweigern, verteidigt. In der psychoanalytischen Theorie werden diese Mechanismen als essenziell für die Bewältigung mächtiger innerer Konflikte durch das Individuum betrachtet. Durch ihren Einsatz ist eine Person in der Lage, ein günstiges Selbstbild aufrechtzuerhalten und ein akzeptables soziales Erscheinungsbild zu wahren. Wenn ein Kind beispielsweise starke Hassgefühle gegen seinen Vater hegt — die gefährlich wären, wenn sie ausgelebt würden —, kann die Verdrängung einsetzen und die Hassgefühle ins Unbewusste verbannen.

Der feindselige Impuls strebt dann nicht länger bewusst danach, ausgelebt zu werden, er wird nicht einmal mehr als existent wahrgenommen. Obwohl der Impuls nicht mehr wahrgenommen wird, ist er dennoch nicht verschwunden; die Gefühle spielen weiterhin eine Rolle bei der Funktionsweise der Persönlichkeit. Indem es beispielsweise eine starke Identifikation mit seinem Vater entwickelt, kann das Kind sein Selbstwertgefühl vergrössern und seine unbewusste Furcht vor der Enttarnung als feindselige Person verringern (Zimbardo & Gerrig, 2008).

Abwehrmechanismen halten Vorstellungen, Gefühlsregungen, Gemütsbewegungen, Handlungsimpulse, Triebregungen oder Gedächtnisinhalte, die für das Individuum aversiv sind und die es nicht zur Kenntnis nehmen will, vom Bewusstsein fern.

Abwehrmechanismen sind kommunikative, mentale und physische Operationen, die der Spannungsregulierung dienen. Es geht um die Herstellung oder Aufrechterhaltung des Wohlbefindens, des positiven Selbstgefühls und des Sicherheitsgefühls.

Video: Abwehr und Abwehrmechanismen

Im folgenden Videoausschnitt beschreibt die Psychoanalytikerin Vera Luif die psychoanalytischen Konzepte der Abwehr und der Abwehrmechanismen.

 

 

Verdrängung

Verdrängung ist der grundlegende Abwehrmechanismus: Gedanken, Gefühle oder Erinnerungen, die Schmerz oder Schuldgefühle verursachen, werden aus dem Bewusstsein ausgeschlossen.

Das Individuum unterdrückt die Wahrnehmung bedrohlicher oder verpönter Triebimpulse oder Affekte, die es gegenüber einem Objekt hat. Die Verdrängung geht vom Ich aus, eventuell im Auftrag des Über-Ich, und verhindert eine vom Es angeregte Triebbesetzung. Manchmal schliesst dieser Kompromiss zwischen dem Es und dem Über-Ich ein, dass dem Es ein Riegel vorgeschoben wird. Extreme Begierden werden aus dem Bewusstsein in die Privatheit des Unbewussten gedrängt.

Verdrängung ist der psychische Prozess, der das Individuum davor schützt, extreme Angst oder Schuld zu empfinden, weil seine Impulse, Vorstellungen und Erinnerungen inakzeptabel sind und/oder weil ihr Ausdruck gefährlich wäre. Dem Ich bleibt sowohl der zensierte mentale Inhalt verborgen als auch der Prozess, mit dem die Verdrängung die Informationen aus dem Bewusstsein fernhält. Verdrängung gilt als die grundlegendste der verschiedenen Methoden, mit welchen sich das Ich vor einer Überwältigung durch bedrohliche Impulse und Vorstellungen schützt (Zimbardo & Gerrig, 2008).

Das Verdrängte bildet einen Teil des Unbewussten und bleibt dort aktionsfähig. Mit der Gegenbesetzung schützt sich das Bewusste gegen das Andrängen der unbewussten Vorstellung. Dies wird in der analytischen Arbeit als Widerstand erkennbar.

Die Verdrängung zeigt sich in scheinbar unerklärlicher Naivität, Fehler beim Erinnern oder im Versagen bestimmter Sinnesorgane bei der Aufnahme von Information (Boothe et al., 2013).

«Das muss ich wohl absichtlich verdrängt haben» stellt eine beliebte Redewendung dar, die häufig im Sinne von bewusst unterdrücken oder vergessen gebraucht wird. Der Vorgang der Verdrängung ist jedoch wie bei jedem Abwehrmechanismus als unbewusst zu bezeichnen, d.h. der Betreffende bemerkt nichts davon. Was für den Prozess gilt, trifft ebenso für die Inhalte zu: auch diese können nicht mehr anhand von Erinnerung in das Gedächtnis zurückgeholt werden (Mertens, 1992).

Video: Die Verdrängung (Psychoanalyse)

Im folgenden Videoausschnitt beschreibt die Psychoanalytikerin Vera Luif den Abwehrmechanismus der Verdrängung.

 

Die folgende Videoszene zeigt ein Beispiel zu Verdrängung oder Verleugnung.

Aufgabe: Formuliere für dich, wie die Abwehrmechanismen in dieser Szene von den verschiedenen Personen gehandhabt werden.

Verschiebung

Die Verschiebung ist wie die Projektion eine Übertragung verdrängter Wünsche und Impulse. In diesem Fall verschiebt man seine Feindseligkeit von einem gefährlichen Objekt auf einen sichereren Ersatz.

Beispiel: Der Mann, dem der Parkplatz weggenommen wurde, lässt seine angestaute Wut zu Hause heraus, indem er einen Streit mit seiner Freundin vom Zaun bricht (Comer, 2008).

Wegen ihrer multiplen Funktionen sind Verschiebung und Verdichtung als Generalmechanismen sowohl des normalen als auch des pathologischen seelischen Geschehens zu bezeichnen. Als Abwehrmechanismen im Dienste der Zensur (A. Freud, 1936) dezentrieren und maskieren sie unbewusste Wünsche und Vorstellungen und bilden damit die wichtigsten Teilschritte bei der neurotischen und psychotischen Symptombildung. Darüber hinaus spielen sie bei normalen Denk-, Erinnerungs- und Aufmerksamkeitsvorgängen, bei der Gestaltung von Träumen, von Witzen, Metaphern, Märchen, Massenphänomenen und Kulturleistungen eine zentrale Rolle (Mertens, 2014, S. 1060/Leuschner).

Verschiebung und Verdichtung

Verschiebung ist derjenige seelische Vorgang, durch den seelische Energie, mit der bestimmte unbewusste Vorstellungsrepräsentanzen besetzt sind, an eine andere Besetzung abgegeben wird. Dieser Vorgang ist somit als ein der Verdichtung entgegengesetzter Prozess zu verstehen. Verschiebung dient der psychischen Ökonomie, indem Affektbeträge relativ frei von einem Inhalt zum anderen überwechseln können. Daher wird im Hinblick auf den psychodynamischen Aspekt der Objektbesetzung die Verschiebung auch synonym als Affektverschiebung bezeichnet. Sie kann als Ergebnis einer Überdeterminierung aufgefasst werden. Verschiebung und Verdichtung kennzeichnen den Primärprozess. Die Konzeption geht auf Freud zurück und wurde von ihm zuerst als Vorgang der Traumarbeit beschrieben. Nach Freuds ökonomischer Theorie kann eine Vorstellung den ganzen Energiebetrag ihrer Besetzung an eine andere abgeben. Durch den Prozess der Verdichtung kann sie die Besetzung mehrerer anderer aufnehmen. Bisweilen dient die Verschiebung auch als Abwehrmechanismus, so z. B. bei Phobien oder Deckerinnerungen.
(nach Wikipedia)

Regression

Als Regression bezeichnet man den Rückzug vor einem angsterzeugenden Konflikt auf eine Entwicklungsstufe, auf der keine Ansprüche an reifes und verantwortliches Handeln gestellt werden (Comer 2008). Dieser Rückzug auf eine frühere Entwicklungsstufe des Denkens, Fühlens oder Handelns erfolgt unbewusst (z.B. Trotzverhalten, Fresslust, Suche nach Versorgung). Die entstehenden Probleme durch regressives Verhalten werden durch andere Abwehrmechanismen abgewehrt.

Die Zeichnung zum Begriff der Regression zeigt viermal dasselbe Mädchen in verschiedenen Entwicklungsstufen.
(c) lolasrecoverysite .wordpress.com

Der Prozess psychischer Erkrankung wird dann regressiv genannt, wenn der Kranke in einer belastenden Lebenssituation seine inneren Konflikte nur dadurch bewältigen kann, dass er auf frühere, kindliche und insofern primitivere Erlebnis- und Verarbeitungsweisen zurückgreift.
Unter den Bedingungen der psychoanalytisch-therapeutischen Situation regrediert ein Patient dann, wenn er die Übertragungssituation entsprechend seiner unbewussten Beziehungsphantasien gestaltet.

Regressionen unterscheiden sich hinsichtlich zahlreicher Eigenschaften: Sie können die ganze Persönlichkeit erfassen oder nur eine einzelne Ich-Funktion verändern, stabil oder sporadisch auftreten, sie sind pathologisch (krankhaft) oder gutartig (im Dienste des Ich).
Regressionen dienen im Alltagsleben der Problembewältigung und Konfliktlösung, wenn das Subjekt vorübergehend von einer hochstrukturierten, zielorientierten zu einer eher ganzheitlichen, anmutungshaften Wahrnehmungs- und Denkweise zurückkehrt, oder auch wenn sich ein Individuum  introspektiv seinen vorbewussten und unbewussten Phantasien öffnet, z. B. in schöpferischem Denken oder künstlerischer Produktivität (Mertens, 2014, S. 803/Körner).

Rationalisierung

In der Psychoanalyse ist Rationalisierung ein Abwehrmechanismus des Ich, nämlich der Versuch, Handlungen, die durch unbewusste Motive gesteuert werden (z.B. durch verdrängte Triebimpulse), nachträglich einen rationalen Sinn zu geben.

Die Rationalisierung ist einer der verbreitetsten Abwehrmechanismen. Gemäss Sigmund Freud ist die Rationalisierung ein Versuch, uns und anderen unser Verhalten vernünftig zu erklären, obwohl ein Grossteil davon auf unbewusste Triebe zurückgeht, die irrational und infantil sind.

Beispiel: Eine Studentin redet ihren Eltern deren Besorgnis wegen schlechter Semesternoten aus, indem sie sich auf die «Erfahrung des College-Besuchs insgesamt» beruft und behauptet, dass eine Überbetonung von Noten dem übergeordneten Ziel einer abgerundeten Bildung schade. Diese Rationalisierung kann eine untergründige Versagensangst und ein mangelndes Selbstwertgefühl verbergen (Comer, 2008).

Die folgende Fabel des griechischen Fabeldichters Äsop (ca. 600 v. Chr) illustriert anschaulich den Vorgang der Rationalisierung.

Der Fuchs und die Trauben

Das Bild zeigt eine Illustration der Fabel von Äsop: der Fuchs schaut neugierug zu den hoch oben hängenden Trauben hinauf.
(c) Jules David:The Fox and the Grapes

Eine Maus und ein Spatz saßen an einem Herbstabend unter einem Weinstock und plauderten miteinander. Auf einmal zirpte der Spatz seiner Freundin zu: «Versteck dich, der Fuchs kommt», und flog rasch hinauf ins Laub.
Der Fuchs schlich sich an den Weinstock heran, seine Blicke hingen sehnsüchtig an den dicken, blauen, überreifen Trauben. Vorsichtig spähte er nach allen Seiten. Dann stützte er sich mit seinen Vorderpfoten gegen den Stamm, reckte kräftig seinen Körper empor und wollte mit dem Mund ein paar Trauben erwischen. Aber sie hingen zu hoch.
Etwas verärgert versuchte er sein Glück noch einmal. Diesmal tat er einen gewaltigen Satz, doch er schnappte wieder nur ins Leere.
Ein drittes Mal bemühte er sich und sprang aus Leibeskräften. Voller Gier huschte er nach den üppigen Trauben und streckte sich so lange dabei, bis er auf den Rücken kollerte. Nicht ein Blatt hatte sich bewegt.
Der Spatz, der schweigend zugesehen hatte, konnte sich nicht länger beherrschen und zwitscherte belustigt: «Herr Fuchs, Ihr wollt zu hoch hinaus!»
Die Maus äugte aus ihrem Versteck und piepste vorwitzig: «Gib dir keine Mühe, die Trauben bekommst du nie.» Und wie ein Pfeil schoss sie in ihr Loch zurück.
Der Fuchs biss die Zähne zusammen, rümpfte die Nase und meinte hochmütig: «Sie sind mir noch nicht reif genug, ich mag keine sauren Trauben.» Mit erhobenem Haupt stolzierte er in den Wald zurück.

Udo Klinger: Ausgewählte Fabeln von Äsop: http://www.udoklinger.de/Deutsch/Fabeln/Aesop.htm#Der_Fuchs_und_die_Trauben

Projektion

Bei der Projektion werden einem Gegenüber eigene Affekte und Impulse unbewusst zugeschrieben. Die projizierende Person ist dabei felsenfest davon überzeugt, dass ihr Interaktionspartner genau so ist, wie sie ihn wahrnimmt. Das Gegenüber kann eine Person sein, aber auch eine Gruppe oder Institution.

Zum Beispiel hat man nicht selbst ausbeuterische und manipulierende Züge und Absichten, sondern der Partner, das andere Geschlecht, das Unternehmen, die Gesellschaft usf.
Projektionen können nicht nur zu andauernden Konflikten in Beziehungen führen, sondern auch zu schweren wahnhaften  Beeinträchtigungen. Ein länger andauernder Gebrauch von Projektion schwächt die Realitätsprüfung und führt zu negativen Konsequenzen für die Orientierung in der äusseren Welt (Mertens, 1992).

Die Projektion dient der Vermeidung von Angst und der Aufrechterhaltung eines erwünschten Selbstbildes.
Beispiel: Eine verheiratete Frau fühlt sich von ihrem Schwager sexuell belästigt, obwohl dieser nichts mit ihr zu tun haben will. Dabei ist es vielmehr so, dass sie sich unbewusst in ihn verliebt hat. Dies kann nicht zugelassen werden, da sie ja verheiratet ist. Ihr eigener sexueller Wunsch wird auf den Schwager projiziert.

Von der Projektion ist die Externalisierungzu unterscheiden: jedermann kennt diese, wenn er z.B. vorübergehend einen anderen Menschen für sein momentanes Missgeschick verantwortlich macht, dabei aber weiss oder ahnt, dass dies der Entlastung seines Selbstwertgefühls dient. Kinder machen davon reichlich Gebrauch. Die Externalisierung bezieht sich in der Regel auf Schuldgefühle.

Video: Die Projektion (Psychoanalyse)

Im folgenden Video beschreibt die Psychoanalytikerin Vera Luif den Abwehrmechanismus der Projektion.

 

 

Projektive Identifizierung

Unter projektiver Identifizierung wird ein Vorgang verstanden, bei dem Teile von abgewehrten eigenen Werten, Gedanken oder Gefühlen in eine äussere Beziehung hinein verlagert werden. Dadurch werden diese als die Gedanken oder Gefühle der anderen Person wahrgenommen. Dies geschieht durch subtiles oder offenes manipulatives Verhalten. Dadurch wird das Gegenüber dazu gebracht, den Projektionen gemäss zu erleben und sich entsprechend zu verhalten (Mertens, 2014, S. 745/Reich).
Karikatur zum Thema "Projektive Identifizierung": eine Figur stellt sich ein Glas Bier vor und sieht ihr Gegenüber als ein Glas Bier.
(c) www.soth.co.uk
  1. Unerwünschte Selbstanteile werden in eine andere Person projiziert.
  2. Über die konkrete Interaktion wird Druck auf diese Person ausgeübt, so zu fühlen und zu handeln, wie es der Projektion entspricht.
  3. Die projizierten Phantasien und Gefühle werden durch die andere Person gehalten und verarbeitet, was zu einer Reintrojektion in modifizierter Form führt (Gerspach, 2009).
Aus entwicklungspsychologischer Sicht gibt es einen wichtigen kommunikativen Aspekt der projektiven Identifizierung: Wenn der verzweifelt schreiende Säugling z. B. heftige Affekte und Phantasien in seiner Mutter auslöst, und wenn diese sich ihm als Container zur Verfügung stellt, gelingt eine existentiell überaus wichtige Kommunikation: die Modulation der unerträglichen Affektspannungen des Säuglings im Erleben der Mutter und ihr Begreifen der auf den ersten Blick sinnlosen Affekte schafft den Boden für ein Verstehen ihres Kindes. «In liebevollem. geduldigem Umgang vermittelt sie ihm das Gefühl, dass seine zunächst namenlose Qual in ihr geborgen und verstanden worden ist, so dass sie dann besser ausgehalten und toleriert werden kann» (Cycon, 1991, S. 167, zit. nach Mertens, 1992).
Ideengeschichtlicher Hintergrund:
Die mit dem Begriff Projektive Identifizierung umschriebenen Phänomene tauchen in der Mythologie und Literatur vielfältig auf und werden hier zur Darstellung genutzt, z. B. in den Figuren des Alter Ego, des Doppelgängers, der Verwandlungen, in denen das eigene Böse in anderer Gestalt wiederbelebt wird.
Diese Themen werden insbesondere in der Romantik, aber auch in der nachfolgenden Literatur durch die Darstellung innerer Zerrissenheit durch Konflikte und «Spaltungen» sowie des «Unheimlichen» ausgearbeitet. Schliesslich ist die Erzeugung eines Stellvertreters «… die Technik, die jeder erfolgreiche Geschichtenerzähler gebraucht. Die Fähigkeit, die Zuhörerschaft in solcher Weise in die Handlung einzubeziehen ist die Kunst jedes Dramatikers» (Wangh 1963, S.141; zit. nach Mertens, 2014/Reich).
Containing bezeichnet in der Psychologie die Fähigkeit von Psychotherapeuten, Projektionen von Patienten vorerst aufzunehmen, ohne die eigenen Emotionen, die durch die Projektionen ausgelöst werden, auszuagieren.
Das Containing wird durch eine Art «träumerisches Ahnungsvermögen» ermöglicht, ähnlich der Gemütsverfassung einer Mutter, die die Ängste ihres Kindes zu lindern versucht, indem sie diese innerlich modifiziert und anschliessend strukturiert zurückspiegelt. Sie übernimmt sozusagen eine aktive «Verdauungsarbeit» unerträglicher Gefühle, anstatt lediglich als Projektionsfläche zu dienen.
Die Ich-stärkende Funktion für das Kind besteht dabei in zweierlei Hinsicht:

  • einerseits kann es daraufhin die modifizierten und damit aushaltbaren Ängste durch Introjektion wieder von der Mutter zurück aufnehmen.
  • andererseits kann das Baby mit diesem Vorgang die Mutter als ein Objekt verinnerlichen, das es schafft, mit seiner Angst umzugehen. So erreicht es, durch Identifikation mit der Mutter, selbst mit solchen Ängsten fertig zu werden.

(nach Wikipedia)

Die Rollen von Mutter und Kind können sinngemäss auch auf die Rollen von Therapeut und Patient übertragen werden.

Exkurs: Liste der Abwehrmechanismen

Eine Liste von Abwehrmechanismen mit kurzen Definitionen (nach Comer, 2008; Zimbardo & Gerrig, 2008, S. 614; Kriz, 2007). Die Liste hat keinen Anspruch auf Vollständigkeit; je nach AutorIn gibt es mehr oder weniger Abwehrmechanismen.

  • Verdrängung: Schmerzhafte oder gefährliche Gedanken werden aus dem Bewusstsein gedrängt und unbewusst gehalten; gilt als grundlegendster Abwehrmechanismus.

  • Verschiebung: Entladung aufgestauter Gefühle, üblicherweise feindseliger Natur, an Objekten, die weniger gefährlich sind als jene, welche die Emotion ursprünglich ausgelöst haben.

  • Regression: Rückzug auf einen früheren Entwicklungsstand, was kindlichere Reaktionen und gewöhnlich auch niedrigere Ansprüche mit sich bringt.

  • Reaktionsbildung: Vermeidung des Ausdrucks gefährlicher Begierden durch Unterstützung gegenteiliger Einstellungen und Verhaltensweisen, die als «Barriere» dienen.

  • Isolierung: Abtrennung der emotionalen Erregung von schmerzhaften Situationen oder Abtrennung von unvereinbaren Einstellungen in logik-sichere Gefilde (die Aufrechterhaltung widersprüchlicher Einstellungen, die nie gleichzeitig oder in Beziehung zueinander reflektiert werden).

  • Ungeschehenmachen: So tun, als ob bestimmte Gedanken, Wünsche und Handlungen nicht geschehen wären — oft verbunden mit Zwangshandlungen und Ritualen.

  • Projektion: Übertragung der Schuld für die eigenen Schwierigkeiten auf andere oder die Zuschreibung der eigenen «verbotenen» Begierden an andere Personen.

  • Rationalisierung: Der Versuch zu beweisen, dass das eigene Verhalten rational und zu rechtfertigen ist, und dass es insofern wert ist, von einem selbst und von anderen Zustimmung zu erfahren.

  • Verkehrung ins Gegenteil: Verwandlung des Zieles eines Triebes in sein Gegenteil, mit Umkehrung von Aktivität/Passivität.

  • Sublimierung: Befriedigung oder Abarbeitung frustrierter sexueller Begierden in nicht-sexuellen Ersatzhandlungen, die in der eigenen Kultur sozial akzeptiert sind.

  • Identifikation: Erhöhung des eigenen Selbstwertgefühls durch Identifikation mit einer anderen Person oder Institution, die oft eine herausragende Stellung innehat (Verringerung der Angst durch Identifikation mit dem Aggressor).

  • Wendung gegen die eigene Person: Ersetzung eines fremden Objektes durch die eigenen Person (z.B. Aggression gegen sich selbst).

  • Phantasien: Befriedigung frustrierter Begierden durch imaginäre Erfüllung («Tagträumen» ist eine verbreitete Form).

  • Realitätsverleugung: Schutz vor der unangenehmen Realität durch die Weigerung, sie wahrzunehmen.

Abwehrmechanismen mit Beispielen

Um die Verdrängung kreist die gesamte psychoanalytische Therapie. Alle anderen Abwehrmechanismen gehen aus ihr hervor. Die verdrängende Person vermeidet Angst, indem sie es schmerzlichen oder gefährlichen Gedanken einfach verwehrt, ins Bewusstsein zu dringen. Wenn die Gedanken einmal verdrängt worden sind, können andere Abwehrmechanismen sie weiter isolieren.

Beispiel: Ein Manager verweigert seinem Wunsch, bei einer Vorstandssitzung Amok zu laufen und seine Chefs und Kollegen umzubringen, den Zugang zum Bewusstsein.

Verleugnung ist eine extreme Form von Selbstschutz. Eine Person, die die Realität leugnet, weigert sich einfach, die Existenz einer äusseren Angstquelle anzuerkennen.

Beispiel: Sie haben morgen eine Abschlussprüfung in klinischer Psychologie und sind völlig unvorbereitet, doch Sie sagen sich, dass es im Grunde keine wichtige Prüfung sei und dass es keinen Grund gebe, heute Abend nicht ins Kino zu gehen.

Eine Reaktionsbildung ist ein Verhalten, das genau das Gegenteil von Impulsen darstellt, die man nicht auszudrücken oder nicht einmal zu erkennen wagt.

Beispiel: Ein Mann hat homosexuelle Neigungen und reagiert darauf, indem er seinen Kollegen gegenüber einen strikt antihomosexuellen Standpunkt vertritt.

Die Verschiebung ist wie die Projektion eine Übertragung verdrängter Wünsche und Impulse. In diesem Fall verschiebt man seine Feindseligkeit von einem gefährlichen Objekt auf einen sichereren Ersatz.

Beispiel: Der Student, dem der Parkplatz weggenommen wurde, lässt seine angestaute Wut zu Hause heraus, indem er einen Streit mit seiner Freundin vom Zaun bricht.

Durch Isolierung verdrängt man die emotionale Komponente einer Reaktion und nimmt Zuflucht zu einem dezidiert logischen Umgang mit dem jeweiligen Problem. Eine derartige Einstellung verkörpert exemplarisch Mr. Spock aus der Fernsehserie Raumschiff Enterprise, der überzeugt ist, dass emotionale Reaktionen die Analyse eines Ereignisses behindern.

Beispiel: Eine Frau, die vergewaltigt wurde, beschreibt die Auswirkungen, die eine solche Tortur bekanntlich auf das Opfer hat, distanziert und methodisch.

Ungeschehenmachen ist, wie der Name schon sagt, ein Versuch, für unannehmbare Wünsche oder Handlungen zu sühnen, häufig durch ritualisiertes Verhalten.

Beispiel: Eine Frau, die Mordgedanken gegen ihren Mann hegt, staubt bei jedem Auftreten dieser Wünsche zeremoniell ihr Hochzeitsphoto ab und rückt es zurecht.

Als Regression bezeichnet man den Rückzug vor einem angsterzeugenden Konflikt auf eine Entwicklungsstufe, auf der keine Ansprüche an reifes und verantwortliches Handeln gestellt werden.

Beispiel: Ein Junge, der mit der Wut, die er seiner gefühllosen und abweisenden Mutter gegenüber empfindet, nicht fertig wird, verhält sich wieder wie ein Säugling, sorgt zum Beispiel nicht mehr für die Erfüllung seiner Grundbedürfnisse und beschmutzt wieder seine Kleidung.

Identifikation ist das Gegenteil von Projektion. Statt einen Aspekt der eigenen Gedanken oder Gefühle einem anderen zu unterstellen, versucht man, sein Selbstwertgefühl zu steigern, indem man die Werte und Gefühle der Person übernimmt, die die Angst verursacht.

Beispiel: In den Konzentrationslagern im Zweiten Weltkrieg übernahmen manche Häftlinge das Verhalten und die Einstellungen ihrer Unterdrücker, sogar bis zum Schaden ihrer Leidensgenossen. Durch Identifikation mit ihren Kerkermeistern (Identifikation mit dem Aggressor) versuchten diese Gefangenen, ihre eigene Angst zu verringern.

Bei der Sublimierung wird sexuelle und aggressive Energie in einer Form ausgedrückt, die für die Gesellschaft akzeptabel ist. Dieser Abwehrmechanismus ist insofern einzigartig, als er sehr konstruktiv ist und für das Individuum und die Gemeinschaft nützlich sein kann. Für Freud stellte die Liebe Sublimierung in ihrer besten Form dar: Sie gestattet  den Ausdruck und die Befriedigung sexueller Energie in einer gesellschaftlich annehmbaren Weise.

Beispiel: Die Höchstleistungen mancher Menschen in unserer Gesellschaft — Athleten, Künstler und anderer hochmotivierter und -qualifizierter Menschen — kann man sich damit erklären, dass sie andere Energien auf ihre Arbeit umlenken.

alle Beispiele aus Comer (2008, S. 42/43).

Weiterführende Literatur

Freud, A. (1964). Das Ich und die Abwehrmechanismen (7. Aufl.). München: Kindler.

Mertens, W. (Hrsg.). (2014). Handbuch psychoanalytischer Grundbegriffe (4., überarb. und erweiterte Auflage). Stuttgart: Kohlhammer. > Darin die Beiträge Abwehr (Küchenhoff) und Abwehrmechanismen (Ehlers).

Widerstand

Da unbewusste Inhalte zunächst einmal als bedrohlich, peinlich oder schmerzhaft empfunden werden, setzt das Unbewusste des Patienten dem Aufdecken dieser Inhalte einen Widerstand entgegen.

Foto einer Frau, die abwehrend ihre Hand der Kamera entgegenstreckt.Trotz akzeptierter Grundregel und dem Wunsch nach Hilfe muss der Patient der Aufdeckungsarbeit des Therapeuten Widerstände entgegensetzen, weil die Symptombildung letztlich ein Kompromiss zwischen dem Konflikt und der Abwehrorganisation ist. Deshalb ist die Aufdeckung des Unbewussten, und damit eine Wiederbelebung des Konfliktes, eine schmerzliche Angelegenheit und bedeutet einen zeitweiligen Verlust der Stabilität des Gesamtsystems. Trotz des unbefriedigenden Ergebnisses — unter dem der Patient ja letztlich leidet — hatte die Symptombildung ja zu einem gewissen Gleichgewicht geführt (Kriz, 2007).

Funktion des Widerstands: Der Widerstand in der Therapie hat den Zweck, das Bewusstwerden verdrängter Konflikte zu vermeiden. Dabei zeigt die Widerstandsdynamik üblicherweise jene charakteristischen Muster, welche die allgemeine Abwehrorganisation des Patienten kennzeichnen (Kriz, 2007).

Schweigen und das Ausbleiben von Einfällen kann auf Widerständen beruhen, ebenso Hemmungen, bestimmte Erlebnisse mitzuteilen, übergefügiges Assoziieren, rasche Symptomheilungen, Agieren, und vieles andere. Im Grunde kann jedes Verhalten ein Widerstand gegen die Psychoanalyse sein und dazu dienen, sich einer tieferen Einsicht, einem verdrängten Affekt oder einer Erinnerung, dem Durcharbeiten oder der Veränderung zu entziehen. Widerstände zu analysieren bedeutet, sie auf ihre unbewussten Wurzeln zurückzuführen, das heisst, diese schrittweise aufzudecken und zu deuten. Dabei zeigt sich, dass die häufigste Quelle der Widerstände die Übertragung ist (Freud, 1912), so dass die Analyse der sogenannten Übertragungswiderstände ein zentrales Element der psychoanalytischen Technik ist (Boothe et al., 2013).

Video: Der Widerstand (Psychoanalyse)

Im folgenden Video beschreibt die Psychoanalytikerin Vera Luif das psychoanalytische Konzept des Widerstands.

 

 

Übertragung und Gegenübertragung

Die Abbildung in vier Teilen zeigt die Übertragung einer zornigen Reaktion vom Chef auf den Angestellten, weiter zur Frau des Angestellten, zum Kind und schliesslich zur Katze.
(c) Richard Sargent

Der Begriff der Übertragung bezeichnet den Vorgang, dass ein Mensch alte — oftmals verdrängte — Gefühle, Affekte, Erwartungen (insbesondere Rollenerwartungen), Wünsche und Befürchtungen aus der Kindheit unbewusst auf neue soziale Beziehungen überträgt und reaktiviert. Ursprünglich können diese Gefühle auf die Eltern oder Geschwister bezogen gewesen sein, bleiben aber auch nach der Ablösung aus dem Elternhaus in der Psyche präsent und wirken dort weiter. Dieser Vorgang ist zunächst normal und weit verbreitet, kann aber, wenn die übertragenen Gefühle sich gegenüber tatsächlichen gegenwärtigen Beziehungen als nicht angemessen erweisen, zu erheblichen Problemen und Spannungen führen.

 

Als Gegenübertragung bezeichnet man eine Form der Übertragung, bei der ein Therapeut auf den Patienten (bzw. auf dessen Handlungen und Äusserungen) reagiert und seinerseits seine eigenen Gefühle, Vorurteile, Erwartungen und Wünsche auf diesen richtet. Der Therapeut verlässt hierbei aus verschiedenen Motiven seine neutrale Position. Daher galt die Gegenübertragung in den Anfängen der Psychoanalyse als störender Einfluss, den der Therapeut sich bewusst machen muss, und der beseitigt werden muss. Die moderne Psychoanalyse sieht die Gefühle des Therapeuten gegenüber dem Patienten eher als eine Art «Resonanzboden», durch den er Informationen über den Patienten gewinnt

Übertragung

Foto eines männlichen Kopfes mit ausgeschnittenem Gesicht, d.h. ohne Gesicht.
(c) psychologytoday.com

Als stärksten Widerstand hatte Freud ursprünglich die Übertragung bezeichnet. Damit werden Gefühle des Patienten dem Analytiker gegenüber gekennzeichnet, die nicht in der realen Situation begründet sind, sondern von früheren Beziehungen stammen und nun in der therapeutischen Situation neu belebt werden (Kriz, 2007).

 

Es geht nach Freud vor allem darum, längst vergangene Beziehungserfahrungen in der Gegenwart neu zu beleben, so die damit verbundenen Affekte neu zu erleben und dem Bewusstsein zugänglich zu machen, und damit auch der therapeutischen Beeinflussung.

Exkurs: Originaltext Freud zur Übertragung (Freud, 1905e, zit. nach Thomä & Kächele, 2006, S. 64):
Es sind Neuauflagen, Nachbildungen von den Regungen und Phantasien, die während des Vordringens der Analyse erweckt und bewusst gemacht werden sollen, mit einer für die Gattung charakteristischen Ersetzung einer früheren Person durch die Person des Arztes. Um es anders zu sagen: Eine ganze Reihe früherer psychischer Erlebnisse wird nicht als vergangen, sondern als aktuelle Beziehung zur Person des Arztes wieder lebendig. Es gibt solche Übertragungen, die sich im Inhalt von ihrem Vorbilde in gar nichts bis auf die Ersetzung unterscheiden. Das sind also, um in dem Gleichnisse zu bleiben, einfache Neudrucke, unveränderte Neuauflagen. Andere sind kunstvoller gemacht, indem sie sich an irgendeine geschickt verwertete reale Besonderheit an der Person oder in den Verhältnissen des Arztes anlehnen. Das sind also Neubearbeitungen, nicht mehr Neudrucke.

Durch das Ausagieren verdrängter Konflikte in der Übertragung wird die Beziehung von allgemeinen Handlungs-, Erlebens- und Wahrnehmungsmustern und den Widerständen in der Therapiesituation deutlich. Daher kam Freud bald zur Einsicht, dass die Übertragung als wichtigstes Hilfsmittel angesehen werden kann, um Aufschluss über das Verdrängte zu erhalten. Denn der Patient agiert praktisch ein Stück seiner Lebensgeschichte aus, zu dem er sonst schwer Zugang hätte. Ausserhalb der Übertragung allerdings ist Agieren statt Erinnern höchst unerwünscht — der Therapeut muss diesem Wiederholungszwang entgegenwirken (Kriz, 2007).

Video: Die Übertragung (Psychoanalyse)

Im folgenden Video beschreibt die Psychoanalytikerin Vera Luif den Begriff der Übertragung.

 

 

Gegenübertragung

Die Gegenübertragung ist als die nicht-neurotische Reaktion des Analytikers auf die Übertragung seiner Patienten definiert. Somit ist die Gegenübertragung komplementär zur Übertragung zu sehen und bedeutet praktisch, dass der Therapeut die Gefühle aufgreift, mit denen er auf die Übertragung reagiert, d.h. die der Patient quasi in ihm erzeugt. Auch diese Gefühle können nun analysiert und damit die Gegenübertragung als therapeutisches Instrument genutzt werden (Kriz, 2007).

Cartoon about childhood
(c) www.pixton.com

Die Gegenübertragung bewirkt unbewusste Prozesse, die sich in Phantasien, Stimmungen, Impulsen, Verhaltensweisen oder Einstellungen äussern. Die Gegenübertragung verläuft entweder analog zu den Übertragungen und stellt somit einen indirekten Indikator für den Inhalt der Übertragungen dar, oder sie löst eine defensive Reaktion im Analytiker aus, welche ihn die Wahrnehmung der Gegenübertragung abwehren lässt (Boothe et al., 2013).

Historischer Hintergrund:

Der Begriff der Gegenübertragung wurde von Freud erstmals im Jahre 1910 erwähnt. Er definierte ihn als den «Einfluss des Patienten auf das unbewusste Fühlen des Arztes» (Freud 1910; zit. nach Mertens, 2002) und beurteilte die Gegenübertragung als ein Phänomen, das die Therapie behindert, aber unumgänglich mit der Übertragung zusammenhängt. Anders als bei der Übertragung, deren Nutzen oder gar zentrale Rolle für die Analyse Freud später anerkannte, fand die Gegenübertragung keine vergleichbare Würdigung in seinen Werken. Isoliert betrachtet schien die Gegenübertragung die psychoanalytische Arbeit zu hindern und wurde als neurotisches Verhalten des Analytikers gesehen, welches ihn an seine Grenzen stossen liess (Boothe et al., 2013).

Weiterführende Literatur

Gerspach (2009, S. 90) zur Gegenübertragung:

Für den Umgang mit der Gegenübertragung ist mittlerweile das Konzept einer nicht-pathologischen Form der projektiven Identifizierung massgeblich. Dieser Begriff markiert noch einmal sehr gut die Dynamik des unbewussten Beziehungsgeschehens. In diesem Konzept, welches auf Melanie Klein zurückgeht, verbinden sich der innere mit dem äusseren Bereich (vgl. Stemmer-Lück 2004, S. 101ff.):

  1. Unerwünschte Selbstanteile werden in eine andere Person projiziert.
  2. Über die konkrete Interaktion wird Druck auf diese Person ausgeübt, so zu fühlen und zu handeln, wie es der Projektion entspricht.
  3. Die projizierten Phantasien und Gefühle werden durch die andere Person gehalten und verarbeitet, was zu einer Reintrojektion in modifizierter Form führt.

Gerspach (2009, S. 90) zur projektiven Identifikation:

Die Verarbeitung der projektiven Identifikation beinhaltet einen Vorgang, durch den ein psychologischer dialektischer Prozess wiederhergestellt wird, in dem der induzierte Gefühlszustand erfahren, gedanklich nachvollzogen und durch das interpretierende Subjekt verstanden werden kann. Die Gegenübertragung wird also als Manifestation dessen betrachtet, was im Analysanden nicht verarbeitet werden kann […]. Ähnlich der Mutter erhält er dadurch eine Container-Funktion (vgl. Bion 1992). Im Bionschen Modell vom Container-Contained bedeutet Containing, dass sich die Mutter zur Verfügung stellt, um «alle die noch nicht bewussten und (noch) unintegrierbaren Affekte und Empfindungen des Säuglings (zum Beispiel Wut und Angst) eine Zeitlang in sich zu bewahren, in sich stellvertretend zu verarbeiten, um so das Kind vor einem Überflutetwerden von seinen Affekten zu schützen und ihm ein Gefühl der Kontinuität seiner Existenz in Beziehung zu seiner Umwelt zu ermöglichen» (vgl. Trescher, Finger-Trescher 1992, 94).

vgl. das Kapitel zum Abwehrmechanismus der «Projektiven Identifizierung».

Gerspach, M. (2009). Psychoanalytische Heilpädagogik. Ein systematischer Überblick. Stuttgart: Kohlhammer.
-> Darin Kapitel 2.5, Übertragung und Gegenübertragung

Agieren

Mit Agieren wird in der Psychoanalyse ein Verhalten oder Handeln bezeichnet, das Kindheitserfahrungen wiederholt, ohne dass dies dem Subjekt bewusst ist. Agieren steht für Handlungen, die der Patient an Stelle von Erinnerungen produziert (Mertens, 2014, S. 51/Klüwer).

Foto einer Frau, die eine Frau, die aus einer grossen Glacépackung isst.
(c) heartanddesign.blogspot.com

Freud beschrieb Agieren erstmals 1905, nachdem er das Phänomen im Zusammenhang mit der Ubertragung seiner Patientin Dora entdeckt hatte. Er setzte Agieren zu Übertragung und Widerstand in Beziehung und sah es als einen Ersatz für Erinnern. Dora agierte ihre Erinnerungen, anstatt sie «in der Kur zu reproduzieren».

Im Originaltext Freuds:

Z.B. der Analysierte erzählt nicht, er erinnere, daß er trotzig und ungläubig gegen die Autorität der Eltern gewesen sei, sondern er benimmt sich solcherweise gegen den Arzt. Er erinnert nicht, daß er in seiner infantilen Sexualforschung rat- und hilflos steckengeblieben ist, sondern bringt einen Haufen verworrener Träume und Einfälle vor, jammert, daß ihm nichts gelinge, und stellt es als sein Schicksal hin, niemals eine Unternehmung zu Ende zu führen . . . Je grösser der Widerstand ist, desto ausgiebiger wird das Erinnern durch das Agieren (Wiederholen) ersetzt sein (Freud, 1914g, S. 129/30, zit. nach Mertens, 2014, S. 51).

Wichtig für die Heilpädagogik
Entwicklungspsychologische Konzeptualisierungen machten deutlich, dass es zu einfach ist, das Agieren lediglich als Widerstand gegen das Erinnern peinlicher Vorstellungen zu betrachten. Die Einschränkung dieses Konzepts auf die Wiederholung von Phantasien aus dem Umkreis des sprachlich organisierten Erlebens wurde aufgehoben und auf Erlebnisse aus präverbaler Zeit ausgedehnt. Damit wurde auch anerkannt, daß das Agieren für einen Analysanden oftmals die einzige Möglichkeit darstellt, Erlebnisse aus der präverbalen Zeit wiederzuerleben. Zu dieser handlungsmässigen Inszenierung in der Übertragung können z.B. frühe Introjektionen von Stimmungs- und Affektvariablen des sensomotorisch und affektiv erfahrenen Dialogs mit der Mutter gehören. Die abwertende Einschätzung, die das Agieren, vor allem mit den Vorgängen des Agierens außerhalb der Übertragung, erfahren hatte, wich so einem angemessenen Verständnis für sprachlos gebliebene, früh erlittene Traumatisierungen, die sich nur handlungsmässig inszenieren können. (Mertens, 1992, S. 17)

Bindung

Foto einer Babyhand, die die Hand eines Erwachsenen hält.
(c) Institut für Psychologie, Universität Innsbruck

Als Grundbegriff der Psychoanalyse bezieht sich Bindung primär auf die Theorie von John Bowlby, welche die Bildung einer engen emotionalen Beziehung als universelles, primäres menschliches Bedürfnis versteht. Wichtig ist dabei die affektive Verbindung, die sich zuerst zwischen dem Säugling und dessen primärer Bezugsperson entwickelt. Bindung wird verstanden als das Resultat von Verhalten, das die Herstellung von Nähe zum Ziel hat (Mertens, 2014, S. 129/Strauss).

Dieses Verhaltenssystem wird aktiviert, wenn das Kind sich in Gefahr sieht oder die Bindungsperson nicht mehr in erreichbarer Nähe ist. Dann werden andere Verhaltenssysteme deaktiviert und das kindliche Verhalten konzentriert sich darauf, Nähe wiederherzustellen bzw. zu erhalten. Wenn sich das Kind in Sicherheit fühlt, wird das System ausgeschaltet und das Kind befasst sich sorglos mit anderen Aktivitäten (Mertens, 2014, S. 129/Strauss).

Bindung ist Ausdruck (eines emotionalen Kerns) gefühlter Sicherheit und wahrgenommenen Schutzes vor Gefahr in Gegenwart einer Bindungsperson (Mertens, 2014. S.129/Strauss).

Bindungstheorie

Die Bindungstheorie entstand aus Bowlbys Bemühungen um ein Modell, welches die Ursprünge psychischer Störungen von Kindern und Erwachsenen erklären konnte, und so wurden Untersuchungen zum Einfluss der frühen Umwelt auf die Entwicklung von Neurosen durchgeführt. Auch zeigte sich, dass Kinder, die von ihren Eltern getrennt wurden, emotional heftig reagierten — von trennungsbedingter Angst bis hin zur Depression — und sich schliesslich emotional zurückzogen (Mertens, 2014/Strauss).

Drei Postulate der Bindungstheorie:

Wenn ein Individuum darauf vertraut, dass eine Bindungsfigur verfügbar ist, wann immer es das wünscht, dann neigt dieses Individuum weniger zu intensiver oder chronischer Furcht als eine andere Person, die dieses Vertrauen aus irgendwelchen Gründen nicht besitzt.

Die zweite Behauptung betrifft die sensitive Periode, in der sich dieses Vertrauen entwickelt und lautet: Vertrauen in die Verfügbarkeit einer Bindungsperson oder Fehlen desselben entwickelt sich nach und nach in den Jahren der Unreife — Kleinkindzeit, Kindheit und Jugend —, und was immer sich an Erwartungen in diesen Jahren entwickelt, bleibt für den Rest des Lebens relativ unverändert bestehen.

Die dritte These bezieht sich auf die Rolle tatsächlicher Erfahrung; sie lautet: Die mannigfaltigen Erwartungen in Bezug auf die Zugänglichkeit und Reaktionsbereitschaft von Bindungsfiguren, die unterschiedliche Individuen in den Jahren der Unreife entwickeln, sind ziemlich genaue Reflexionen der Erfahrungen, die diese Individuen tatsächlich bereits gemacht haben.

(Bowlby 1973, S. 246, zit. nach Mertens, 2014, S.130/Strauss)

Bowlby war Psychiater und Psychoanalytiker. Mangels prospektiver Untersuchungsansätze und theoriegeleiteter Empirie arbeitete Bowlby auch mit Konzepten der Verhaltensforschung und der Systemtheorie. Trotz ihrer Ausrichtung auf die Diagnostik und Behandlung emotional gestörter Patienten und Familien stiess die Bindungstheorie zuerst in der Entwicklungspsychologie auf Interesse und wurde erst in den letzten Jahren im klinischen Bereich und in der Psychotherapieforschung beachtet (Mertens, 2014/Strauss).

Bindungsforschung

Die Ergebnisse der Bindungsforschung sind für die Heilpädagogik von von grosser Relevanz. Dort wird seit den Arbeiten von John Bowlby das Interaktionsverhalten zwischen Kind und Mutter (in seiner Auswirkung auf die Ausbildung der inneren Repräsentanzen beim Kind) untersucht, um festzustellen, was sich davon in seinem späteren Bindungs- und Sozialverhalten zeigen wird. Das Verhalten der Mutter ist seinerseits immer von den eigenen früheren Erfahrungen und den damit verknüpften Erwartungen, Phantasien und Ängsten abhängig. Für die Bindungsqualität ist das Bindungsverhalten der mütterlichen Bezugsperson bedeutsam. Bedingung für eine gute Bindungsqualität ist die kontinuierliche Verfügbarkeit der Bezugsperson. Ausserdem ist wichtig, wie die Mutter die Signale des Kindes beantwortet: feinfühlig, einfühlsam oder uneinfühlsam (Gerspach, 2009, S. 74). Vgl. Exkurs unten.

Foto mit Mutter und Kind.
(c) www.knetfeder.de

Mary Ainsworth und ihre Mitarbeiter/innen haben mit dem sogenannten Fremde-Situation-Test, bei dem die Kinder kurzzeitig von ihrer Mutter getrennt werden und sich einem unbekannten Menschen gegenüber sehen, ein einfaches Beobachtungsverfahren entwickelt, mit dem die Bindungsqualität bei Kindern im Alter von 1—2 Jahren gemessen werden kann. Ihre Systematik einer Einteilung in drei Basisgruppen unterscheidet die folgenden Typen:

 

  • Sicher gebundene Kinder – Sie sind beunruhigt und zeigen Trennungsschmerz. Nach der Rückkehr der Mutter wenden sie sich ihr zu und können sich den nötigen Trost holen (Typ B).

  • Unsicher-vermeidend gebundene Kinder – diese scheinen von der Trennung wenig
    beeindruckt zu sein, vermeiden bei Rückkehr der Mutter Nähe und Kontakt zu ihr und unterdrücken Bindungsgefühle. Einer fremden Person gegenüber verhalten sie sich nicht anders als gegenüber der Mutter (Typ A).

  • Unsicher-ambivalent gebundene Kinder – Sie wirken durch die Trennung enorm beunruhigt und verängstigt, lassen sich jedoch nach Rückkehr der Mutter nur langsam beruhigen und sind nicht in der Lage, aus der Nähe zu ihr Sicherheit zu schöpfen. Sie wechseln dabei zwischen Suche nach Nähe und aggressiver Ablehnung des Kontakts (Typ C).

  • Später wurde eine weitere Gruppe hinzugefügt, nämlich die desorientiert/desorganisierten Kinder – sie zeigen ungerichtete Reaktionen, einen Mangel an Strategie und können die Mutter nicht als sichere Basis nutzen (Typ D).

Die resonante, emotionale Reaktion der Bezugsperson kann als wichtiges Einstimmen (attunement) erachtet werden, das dem Kind die so dringend benötigte Sicherheit gewährt:

Fehlen die Fähigkeiten zum attunement, containing und holding (. . .) ist auch das Kind nicht in der Lage, durch Identifikation mit dem genügend guten Objekt (. . .) eine eigene innere Impuls- und Affektregulierung zu entwickeln (vgl. Leuzinger-Bohleber u. a. 2008, S. 627; zit. nach Gerspach, 2009, S. 74).

Bindung, reflexive Funktionen und Mentalisierung

Strauss (2014, in Mertens, 2014) zur Mentalisierungsfähigkeit:

Sicher gebundene Kinder entwickeln eigene Kompetenz und haben gute Voraussetzungen, Belastungen zu bewältigen, innerhalb von Beziehungen zu kommunizieren und Vertrauen zu entwickeln in die Verfügbarkeit anderer Personen.
Es spricht vieles dafür, dass ein autonomes Selbstgefühl sich zunächst nur aus einer sicheren Eltern-Kind-Beziehung heraus entwickeln kann. Tatsächlich zeigen Längsschnittuntersuchungen von Bindungsqualitäten aus dem Bereich der Entwicklungspsychologie eine erstaunlich hohe Stabilität, zumindest bis ins frühe Jugendalter. Zum Verständnis der klinischen Bedeutung der Bindungstheorie sind Befunde wichtig, die zeigen, dass Bindungsmuster generationenübergreifend bestehen. Es wurde in mehreren Untersuchungen gezeigt, dass eine hohe Konkordanz zwischen der Bindungsorganisation von Müttern und dem Bindungsverhalten von Kleinkindern besteht.
Die moderne Bindungsforschung begreift die Entwicklung einer sicheren Bindung als Grundlage für die Differenzierung der Reflexionsfunktionen bzw. der Mentalisierungsfähigkeit, die wiederum die Entwicklung des Selbst und der Affektregulierung beeinflusst, und die Fähigkeit „psychologisch zu interpretieren“ (vgl. hierzu Fonagy, Gergely, Jurist und Target 2004) (Mertens, 2014, S. 131/Strauss). Siehe auch Gerspach (2009, S. 74-77) und das folgende Kapitel zur Mentalisierung.

Weiterführende Literatur

Fonagy, P., Gergely, G., Jurist, E. L. & Target, M. (2004). Affektregulierung, Mentalisierung und die Entwicklung des Selbst. Stuttgart: Klett-Cotta.

Gerspach, M. (2009). Psychoanalytische Heilpädagogik. Ein systematischer Überblick (Heil- und Sonderpädagogik). Stuttgart: Kohlhammer. Darin besonders Teile des Kapitels 2.3 „Die Berücksichtigung zentraler Erkenntnisse der Psychoanalyse“, S. 74 – 77.

Mentalisierung

Mehrere Fotos mit Gesichtern von Statuen und realen Gesichtern, ineinander übergehend
(c) mentalisierung.net

Die Mentalisierungoderreflexive Funktionist eine kognitive Leistung und beschreibt die Fähigkeit, Mitmenschen in Bezug auf ihre mentalen Aktivitäten, wie Wünsche, Hoffnungen, Vermutungen oder Absichten einzuschätzen und gleichzeitig über das eigene Denken nachzudenken. Mentalisierung und reflexive Kompetenz dienen der Selbstorganisation sowie der Impulskontrolle und Affektregulation, und sie stehen im Zusammenhang mit seelischer Gesundheit. So ist die Beeinträchtigung der Reflexionsfähigkeit bei psychischen Erkrankungen oder bei misshandelten Kindern nachgewiesen. Die Entwicklung der Mentalisierung ist ein interaktiver Prozess, in dem der affektive Austausch mit den Objekten der frühen Kindheit eine ausschlaggebende Bedeutung hat.

Das Konzept der Mentalisierung ist auf dem Hintergrund der Bindungsforschung und der Theory of Mindentstanden und hat in den vergangenen Jahren stark an Bedeutung gewonnen. Zu verdanken ist dieser Umstand in erster Linie den Arbeiten von Fonagy und Mitarbeitern seit Beginn der 90er Jahre.

Die Entwicklungder Mentalisierung betrifft eine spezifische kognitive Fähigkeit, die bestimmte Gehirnreifungsprozesse voraussetzt. Während die einzelnen Hirnstrukturen heranreifen, erwirbt das Kind durch die Umgangsart der Mutter sein Beziehungswissen, welches sich unbewusst auf Fühlen und Handeln auswirkt.
Im Alter von ca. 4 Jahren verfügt das Kind über die Möglichkeit, über das eigene Selbst und über das vermutete Innenleben eines anderen Menschen nachzudenken. Es hat gelernt, bei anderen Menschen Gefühle und Intentionen wahrzunehmen (Boothe et al., 2013).

Entwicklung der Mentalisierung

Im Alter von ca. 4 Jahren verfügt das Kind über die Möglichkeit, über das eigene Selbst und über das vermutete Innenleben eines anderen Menschen nachzudenken. Es hat gelernt, bei anderen Menschen Gefühle und Intentionen wahrzunehmen. (Boothe et al., 2013 / Judith Brändle)

Entwicklung der Mentalisierung

  • 1.-2. Lebensmonat: Nach der Geburt sind Mutter und Kind nicht mehr verbunden, die Mutter wirkt von aussen auf das Kind ein. Sie übernimmt die Rolle einer Koordinatorin der kindlichen Rhythmen, die vom Kind noch nicht eigenständig ausgeführt werden können. Das Kind kann diese Rolle erst selber übernehmen, wenn es die durch die Mutter gewonnenen Erfahrungen physiologischer Zustände gespeichert hat. Diese an die Mutter delegierte Homöostase ist für das Kind sehr wichtig; sie wird im weiteren Verlauf mit Affekten verbunden und bildet so den affektiven Kern des Menschen. In dieser Zeit bilden sich immer mehr Erwartungen von bestimmten Vorgängen aus, die durch die Verhaltensweisen der Mutter bestimmt werden (z.B. das Stillen).

  • 3.-7. Lebensmonat: In der Interaktion zwischen Eltern und Kind kommt es zu Spielen, insbesondere zu Lächelspielen. Durch das Lächeln kann das Kind die Erfahrung machen, wie es seine Umwelt beeinflussen kann. Erfolg oder Misserfolg wirken sich auf die Bildung des affektiven Kerns und auf seinen sozialen Stil aus. Im Spiel mit der Mutter lernt das Kind zudem, sein Erregungsniveau und seinen Affektzustand zu regulieren.

  • 8.-18. Lebensmonat: Das Kind beginnt, eine neue Qualität des Denkens zu entwickeln; es ist der Beginn der Theory of Mind. In dieser Phase fängt das Kind an zu begreifen, dass hinter einem gezeigten Verhalten noch etwas weiteres sein muss. Das von Stern (1992; zit. nach Köhler, 2004, S.166) als Affektabstimmung bezeichnete Verhalten der Mutter besteht darin, dass die Mutter den Gefühlszustand, der einer Handlung des Kindes zugrunde liegt, erfasst und ihn in anderer Weise wiedergibt. Die Art der Spiegelung durch die Mutter ist für das sich entwickelnde Selbstgefühl des Kindes sehr wichtig. Damit entwickelt das Kind zwei Selbstrepräsentanzen: eine erste, die seiner eigenen Wahrnehmung entspricht, und eine zweite, wie es mit den Augen der Mutter gesehen wird.

  • 19.-42. Lebensmonat: Durch den Spracherwerb lernt das Kind, Affekte mit Bedeutung zu versehen und sie zu symbolisieren. Gleichzeitig lernt es im Symbolspiel, sich symbolisch auszudrücken und übt damit, mehrere Perspektiven gleichzeitig zu beachten. Im Rollenspiel konstruiert das Kind eine zweite, so genannte «Als-ob-Realität», die von der tatsächlichen Realität ganz klar unterschieden werden kann.

  • ab ca. 54. Lebensmonat: Im Alter von ca. 4 Jahren macht die Hirnentwicklung einen Sprung, die dem Kind ermöglicht, mehrere Realitäten in Betracht zu ziehen, sich von seinem egozentrischen Weltbild zu lösen und die Sicht anderer einzunehmen. Es kommt zur Ausbildung der Theory of Mind.

Mentalisierung mit Bezug auf die Heilpädagogik

Peter Fonagy

Mentalisieren steht für die menschliche Fähigkeit, eigene mentale Verfassungen in ursächlichen Zusammenhang mit der mentalen Verfassung anderer Personen zu bringen (Gerspach, 2009).

Allgemeiner gesagt bezeichnet man Mentalisierungin der Psychologie und Psychoanalyse als die «Fähigkeit, das eigene Verhalten oder das Verhalten anderer Menschen durch Zuschreibung mentaler Zustände zu interpretieren» (Fonagy et al., 2004). Hierbei wird also nicht nur auf das Verhalten des Gegenübers eingegangen, sondern auf die eigenen Vorstellungen über dessen Überzeugungen, Gefühle, Einstellungen, Wünsche etc., die dem Verhalten zugrunde liegen. Mentalisierung bedeutet gewissermassen am Verhalten «ablesen zu können, was in den Köpfen anderer vorgeht». So ist es auch möglich, das eigene Erleben und Handeln reflexiv zu erfassen. Das Mentalisierungskonzept ist an die Theory-of-Mind-Forschung angelehnt, es wurde von Peter Fonagy und Mary Target geprägt.

Gerspach (2009) stellt das Konzept der Mentalisierungoder reflexiven Funktion mit Sicht auf die Heilpädagogik ausführlich vor: Die Gruppe um Peter Fonagy hat ihr Konzept inzwischen äusserst differenziert ausgearbeitet. Im Anschluss an die kognitionspsychologische Theory of Mind gehen sie der Frage nach, wie und wann Kinder entdecken, dass sie und andere Wesen mit mentalen Zuständen sind. Die Fähigkeit, den Anderen und die eigene Person als Wesen mit geistig-seelischen Zuständen zu verstehen, nennen sie Mentalisierung (Gerspach, 2009, S. 93 ff.).

Das Konzept der Mentalisierung betont, wie wichtig die affektiv-interaktive Qualität von Primärbeziehungen für die Entwicklung der Mentalisierungsfähigkeit ist. Zentral ist dabei die Affektspiegelung und damit verbunden die Markierung des emotionalen Zustands des Kindes durch die Eltern. Durch die Markierung merkt das Kind, dass die übertrieben gezeigten Affekte nicht echt, sondern nur eine Darstellung sind. Es überträgt die gezeigte Darstellung auf seinen eigenen Zustand und versteht ihn als Ausdruck seines eigenen Affekts.Die Aufgabe der Affektspiegelung wird ab dem Alter von eineinhalb Jahren vom Playing-with-reality übernommen. Das symbolische Spiel nimmt von nun an den Platz der Affektspiegelung ein. Jetzt beginnt das Kind zwischen zwei parallel zueinander existierenden Modalitäten hin und her zu pendeln: dem Als-ob-Modus und dem Äquivalenzmodus. Das Kind erfährt durch beide Modi Gefühle und Gedanken, jedoch auf andere Art und Weise. Im Als-ob-Modus wird die elterliche Darstellung von Affekten durch das Spiel abgelöst, indem Zustände auf Spielfiguren übertragen werden. Im Äquivalenzmodus hingegen nimmt das Kind seine Vorstellungen als real an und sieht sie als Abbilder der Realität.Ein adäquater Umgang der Eltern mit den kindlichen Lebensäusserungen ist von grosser Bedeutung. Nur so können der Als-ob-Modus und der Äquivalenzmodus zusammengeführt werden. Es entsteht ein so genannter reflektierender Modus, welcher dem Kind ermöglicht, seine Gedanken und Gefühle nicht mehr als Abbildung der Realität, sondern eher als eine Einstellung dazu wahrzunehmen. (Boothe et al., 2013)

Mentalisierung: Weiterführende Links und Literatur

Das Konzept des Mentalisierens und seine Hintergründe in Bindungstheorie, Theory of Mind und Psychoanalyse sind sehr gut im entsprechenden deutschsprachigen Wikipedia-Artikel beschrieben!

Mentalisierung: Ein neues Konzept in Psychoanalyse und Psychotherapie: http://www.mentalisierung.net

Fonagy, P., Gergely, G., Jurist, E. L. & Target, M. (2004). Affektregulierung, Mentalisierung und die Entwicklung des Selbst. Stuttgart: Klett-Cotta.

Gerspach, M. (2009). Psychoanalytische Heilpädagogik. Ein systematischer Überblick (Heil- und Sonderpädagogik). Stuttgart: Kohlhammer. (Darin Kapitel 2.6: Zum Konzept des Mentalisierens).

Szene und Szenisches Verstehen

Die Szeneist im psychoanalytischen Verständnis die meist nicht-bewusste Herstellung einer interaktiven Struktur mit Rollenzuweisungen an das Selbst und die in die Szene verstrickten Objekte, die für den Akteur hohe emotionale Bedeutung haben (Boothe et al., 2013).

Künstlerisches Bild einer Szene mit Flugzeug und winkenden Personen.
(c) Martin Honert 1995

Szenisches Verstehen ist der Vorgang, in dem der Analytiker die Differenz zwischen der manifesten Szene, der von ihr überlagerten aktuellen oder berichteten Situation und einer vom Analysanden früher erlebten Szene für sich zu verstehen versucht, auf der Grundlage der Wahrnehmung von Übertragung und Gegenübertragung (Mertens, 2014, S.934/Wolf).

Szenisches Verstehen bedeutet das Verstehen von Interaktionsprozessen, es soll entschlüsselt werden, wie der Analysand den Analytiker in seine Szene einbindet. Der Analytiker steht dabei also nicht in Distanz zu der Szene, sondern muss sich auf das Spiel des Patienten einlassen. Der Patient bringt in die Szene verdrängte Erlebnisse ein. Er agiert durch einen Wiederholungszwang ständig mit dem gleichen Muster, verändert die ursprüngliche Szene in seiner Vergangenheit jedoch. Aufgabe des Analytikers ist es nun, die ursprüngliche Szene bewusst zu machen und zu rekonstruieren.

Die Übernahme des szenischen Verstehens auf das Gebiet der Pädagogik vermag dann prägnant so gefasst werden: «Der Heilpädagoge versucht, den Gestörten und Behinderten aus dem, was jener offen und verschleiert in Szenen von sich mitteilt, zu verstehen» (Leber 1979). Jede konflikthafte Verwicklung des Pädagogen mit seinen Kindern und Jugendlichen erscheint demnach als an seine Person geknüpfter inszenierter Wiederholungsversuch unbewältigter Lebensgeschichte. Versteht der Pädagoge diesen Kontext nicht, trägt er unbewusst zu einer für ihn selber schmerzhaften Vervollständigung der Szene bei, verhält er sich doch gemäss der unbewussten Erwartungen des Interaktionspartners (Gerspach, 2009, S. 110).

Dieses Unverständnis lässt ihm nur eine Möglichkeit: Genau so unzureichend, abweisend und versagend zu reagieren wie die Elternfiguren. Verhält er sich aber gemäss der unbewussten Erwartungen des Kindes, wird die Beziehung zwischen beiden dann die gleichen unbefriedigenden Merkmale aufweisen wie die zu den Eltern. Entwicklung findet dann nicht mehr statt. So wird er leicht in Versuchung geraten, aus einem nicht reflektierten Selbstschutz heraus die ihm zugefügte Kränkung zurückzugeben und dies womöglich noch mit hehren erzieherischen Grundsätzen — «Kinder brauchen Grenzen» — zu rationalisieren suchen (Gerspach, 2009, S. 110).

Mit dem szenischen Verstehen können wir besser nachempfinden, was ein Kind von seinen inneren Schwierigkeiten und Konflikten in reale Handlungen transformiert. Indem es unbewusst in seinem Verhältnis z. B. zu seinen Mitschülern und Lehrern etwas inszeniert und diese damit in seinen Bann zieht, äussert es sich in seinem (auffälligen) Verhalten auf eine verschleierte Weise. Seine innere Problematik und seine unbewältigten Lebensthemen zeigen sich in der Art und Weise, wie es seine Beziehungen zu und mit anderen Menschen arrangiert. Diesen Appell gilt es zu entschlüsseln, um darauf eine angemessene Antwort zu finden, damit das unbewusst agierte Leiden nach und nach in eine (sprach-)symbolische Form gekleidet werden kann (Gerspach, 2009, S. 112).

Szenisches Verstehen im pädagogischen Feld

Die wesentlichen Grundlagen für das szenischeVerstehen im pädagogischen Feld sind nach Gerspach (2009, S. 117/118):

  1. Das szenische Verstehen offenbart uns die unbewusste Wiederbelebung eines unbewältigten Lebensthemas im aktuellen Beziehungsarrangement, wie es sich als Störung darstellt. Wir selbst werden in diese Szene hineingezogen.

  2. Das unbewältigte Thema wird uns vor allem in Form sprachlosen Agierens präsentiert. Es existiert keine andere Form der Selbstmitteilung. In diesem Mangel liegt die Belastung der Pädagoginnen.

  3. Auftrag der Heilpädagogik ist es, ein Klima zu schaffen, in dem sich das störende Kind angenommen fühlt. Über das Wachsen einer stabilen Beziehung kann allmählich Sprachein den Dialog eingebaut werden. Erst wenn eine erlebensnahe Sprache zur Verfügung steht, wird sich das störende Verhalten in soziale wie kognitive Kompetenz transformieren lassen.

Video: Szenisches Verstehen im psa. Erstgespräch

Im folgenden Video erläutert die Psychoanalytikerin Vera Luif das szenische Verstehen als Bestandteil des psychoanalytischen Erstgesprächs.

 

 

Weiterführende Links und Literatur

Gerspach, M. (2009). Psychoanalytische Heilpädagogik. Ein systematischer Überblick (Heil- und Sonderpädagogik). Stuttgart: Kohlhammer. Darin das Kapitel 3.2 „Das szenische Verstehen in der Heilpädagogik“, S. 107 – 113.

Affekttheorien

Die Affektforschungliefert uns wichtige Zugänge zu frühkindlichen Entwicklungsprozessen.

Affektesind die psychischen Repräsentanzen von hierarchisch organisierten, aus dem Körperinnern und durch externe Reize aktivierbaren, zielorientierten Motivsystemen. Affekte steuern die Objektbeziehungen, aber auch andere nicht soziale Handlungen in motivspezifischer Weise (Krause, 1983). Affekte wie Freude, Interesse, Furcht, Überraschung, Schmerz oderWutsind die zentralen Organisatoren der Psyche. Sie sind die primäre Sinnesmodalität, um die innere wie äussere Wirklichkeit zu erkunden (Gerspach, 2009).

Man kann sie definieren als «psychische Strukturen, die sich aus motivationalen, somatischen, expressiven, kommunikativen sowie emotionalen Komponenten zusammensetzen und an eine bestimmte Vorstellung oder einen bestimmten kognitiven Inhalt gebunden sind» (vgl. Tyson, Tyson 1997, 141). Von Anfang an bilden sie die Grundlage der Entwicklung von Objektbeziehungen eines Kindes mit seinen primären Beziehungspartnern. Die Art und Weise, wie ein Kind sich und seine Umgebung wahrnimmt, wird in einem wechselseitigen affektiven Dialog entfaltet. Dieser Dialog bildet das Fundament seines Persönlichkeitsaufbaus (Gerspach, 2009, S. 65).

Unbestritten gibt es jedenfalls einen engen Zusammenhang von affektivem Klima des Beziehungsarrangements mit der individuellen Entwicklungbzw. Entwicklungshemmungeines Kindes. Diesbezüglich hat sich in der psychoanalytischen Betrachtungsweise in den letzten Jahren eine kleine Revolution ereignet: «Affekte, und nicht die Triebe, sind die uranfänglichen Bausteine des psychischen Lebens» (Mertens 1996, S. 83 f). So zeigt uns etwa die moderne Säuglingsforschung, dass sich der Mensch zu Beginn seines Lebens vor allem über affektive Wahrnehmungskanäle orientiert und dabei sehr stark auf eine gelingende Regulation seiner Affekte durch seine primären Beziehungspartner, in der Regel die Mutter, angewiesen ist (Gerspach, 2009, S. 65).

Die Objektbeziehungstheorie unterstreicht die interaktive Funktion der Affekte. Sie spielen eine Rolle in der Anbahnung interpersoneller Beziehungen und der Regulation von Subjekt-Objekt-Interaktionen. Ein von sechs Komponenten ausgehendes Affektmodell stammt von Rainer Krause. Es untergliedert das Affektsystem in:

  1. Expressive Komponente (mimischer und gestischer Ausdruck des Affekts)
  2. Physiologische Komponente (endokrine und neuronale Ebene des Affekts)
  3. Motivationale Komponente (Innervation der Skelettmuskulatur)
  4. Wahrnehmung/Bewusstes Erleben des Affekts
  5. Sprachliche Benennung des Erlebens
  6. Bewusste Wahrnehmung des Affekts als inneres Bild und als spezifische situative Bedeutung der Welt und der Objekte

Weiterführende Literatur

Gerspach, M. (2009). Psychoanalytische Heilpädagogik. Ein systematischer Überblick (Heil- und Sonderpädagogik). Stuttgart: Kohlhammer. Darin: Ganzes Kapitel 3.3.

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