Kognitive Modelle

28 Ursprünge des kognitiven Modells

Ursprünge des kognitiven Modells

Nicht alle Psychologen konnten sich mit der Betonung vorhersagbarer, maschinenartiger Qualitäten menschlicher Funktionen anfreunden, wie sie der mechanistische Behaviorismus lieferte. Etwa um 1960 läuteten Vertreter des Kognitivismus eine neue Aëra innerhalb der Psychologie ein. Sie durchbrachen mit ihren Ansichten die starren Reiz-Reaktions-Denkmuster der Behavioristen und lenkten den Blickpunkt auf die kognitiven (=Denk-) Fähigkeiten des Menschen. Ihr Beitrag für eine moderne Psychologie ist aus diesem Grund äusserst wichtig und fruchtbar. Die Kognitivisten gehen davon aus, dass der Mensch Einsicht und Voraussicht und daher auch Verantwortung und Entscheidungsfreiheit besitzt. Als ein denkendes Wesen ist er in der Lage, seine Handlungen zu planen und auch zu überdenken. Der Mensch hat die Entscheidungsgewalt darüber, ob und wie er seine Probleme lösen kann und will. Kognitive Modelle beschäftigen sich also stärker mit Prozessen wie Entscheidungsfindung, Denken, Problemlösung, Vorstellung und verwandten Themen  statt ausschliesslich mit beobachtbarem Verhalten (Lefrançois, 2006).

Symbolischer Kopf mit Zahnrädern und Input der wie über einen Trichter eingefüllt wird.In Humanexperimenten zeigte sich der Einfluss von Instruktion, Erwartung, Selbstbewertung, Selbstindoktrination usw. auf den Therapieprozess, z.B. bei der Desensibilisierung, aber auch bei den operanten Ansätzen (Lefrançois, 2006). Offensichtlich ist es nicht gelungen, vor allem in Bezug auf therapeutische oder pädagogische Ansätze, d.h. ausserhalb des experimentellen Labors, eine Reihe von Phänomenen mit behavioristischen Konzepten befriedigender zu erklären, als mit konkurrierenden Ansätzen unter Einbezug kognitiver Aspekte (Kriz, 2007).

Charakteristisch für die Entwicklung kognitiver Theorien ist die Berücksichtigung sozialer und kognitiver Merkmale des Lernens. Die sozialen Lerntheorien besitzen ihre Wurzeln zwar auch schon in der ersten Hälfte des Jahrhunderts, wurden allerdings erst nach einer Phase der Konsolidierung klassischer Lerntheorien ausgearbeitet, spezifiziert und später auch von der Verhaltenstherapie als Grundlagen übernommen (Reinecker, 2005).

Polemik um den Behaviorismus

Eigentlich war schon im Rahmen der frühen amerikanischen Lerntheorien (und selbst auf Versuche mit Ratten beschränkt) die Position des Behaviorismus nicht durchzuhalten. […] Selbst Skinners «Durst» — der erklärt, warum für voll gefressene, aber lange nicht mit Flüssigkeit versorgte Ratten nicht Futter, sondern Wasser ein Verstärker darstellt — ist eben nicht so streng behavioral, wie Skinner es gern gehabt hätte: Beobachtbar ist eben nur die Trinkbewegung und nicht so etwas wie «Durst» (Lefrançois, 2006).

Wichtige Begriffe der kognitiven Modelle

Das Bild zeigt einmal ein Boot aus der Perspektive der Insel, einmal die Insel aus der Perspektive des Boots.
(c) SleepyMoose.com

Der Mensch ist kognitiv veranlagt: typisches Kennzeichen ist sein reflexives Bewusstsein. Der Mensch kann aus der Perspektive eines andern auf sich selbst zurückschauen, er kann die Perspektive wechseln.

Beispiel: Ein Kind spielt mit seiner Puppe «Mutter und Kind», dabei spielt es die Rollen des Kindes und der Mutter abwechselnd selbst (Kriz, 2007).

Neben der Perspektive sind auch die Erwartungen wichtig. Eine Person stellt Vermutungen an und hat Erwartungendarüber, wie sie von einer andern Person wahrgenommen wird. Und sie hat Erwartungen über Erwartungen: die Person hat Erwartungen darüber, was andere von ihr erwarten (Kriz, 2007).
Auch in den behavioristischen Therapien zeigte sich der grosse Einfluss von Instruktion, Erwartung, Selbstbewertung, Selbstindoktrination etc. auf den Therapieprozess. Diese Befunde aus Forschung und vor allem auch aus täglicher Praxis veranlassten Verhaltenstherapeuten schon früh, kognitive Elemente in ihre Behandlungsmodelle zu integrieren, und dies mit Erfolg. So enstanden immer mehr kognitiv begründete Modifikationen verhaltenstherapeutischer Ansätze, wie das Modelllernen(Bandura, auch als soziales Lernen bezeichnet) und die Problemlösungstherapien(Kriz, 2007). Der wohl bekannteste Ansatz ist die kognitive Therapie von Aaron T. Beck, der die kognitive Trias aus negativem Selbstbild, negativer Interpretation der Lebenserfahrungen und nihilistischer Sicht der Zukunft für das Entstehen der Depression verantwortlich machte.

Das erkennende Subjekt
Das erkennende Subjekt als wesentlicher Begriff im Sinne des Kognitivismus wurde von Groeben und Scheele (1977) in die Psychologie eingeführt (Nolting & Paulus, 2012):

Als entscheidendes Argument gegen das «behaviorale Subjektmodell» führen sie das Selbstanwendungsargumentan: Der behavioristische Psychologe und Forscher sieht sich selbst kognitivistisch, als erkennendes, aktives Subjekt, welches sich z. B. bestimmte Experimente überlegt, sie durchführt, auswertet und die Ergebnisse interpretiert. Seine Versuchspersonen sieht er — gemäss orthodoxer behavioristischer Auffassung — als überwiegend umweltabhängig und reizdeterminiert, weder zur Reflexivität und Rationalität noch zur Autonomie befähigt. Diese Auffassung läuft auf zwei Psychologien hinaus: dort die weitgehend determinierte Versuchsperson, hier der zu Einsicht und autonomer Entscheidung befähigte behavioristische Psychologe und Forscher. In der kognitiv orientierten Psychologie wird zwischen Wissenschaftler und Laien eher eine Gleichrangigkeit angestrebt. Kognitivistische Psychologie knüpft deshalb auch mehr als andere Richtungen am Denken der Alltagsmenschen an und macht auch deren «Naive Psychologie» oder «Alltagspsychologie» zum Gegenstand ihrer Forschung (Nolting & Paulus, 2012).

Konstruktivistische Auffassungen
gehen noch einen Schritt weiter.  Sie gehen mehr oder weniger radikal davon aus, dass der Mensch sich die Wirklichkeit selbst kognitiv konstruiert und in einer Welt aus individuellen Wahrnehmungen und Wissensbeständen lebt. In einem selbstgesteuerten Lernprozess eignet sich der Lernende diese Wissensbestände an. Sie bilden die Folie für alle weiteren Erfahrungen, verändern sich ständig, sind einzigartig und bestimmend für das jeweilige Individuum. Das erworbene Wissen ist demnach kein Kopie der Wirklichkeit, sondern eine idiosynkratische Konstruktion, abhängig von der individuellen subjektiven Erfahrung. Sie ist demnach auch kein «äusserer» Gegenstand, der sich vom Lehrenden zum Lernenden transportieren lässt und der ihm dann «eingetrichtert» werden kann (Nolting & Paulus, 2012).

Problemanalyse und Verhaltensgleichung

Gegenüber der einfachen Verhaltensgleichung im deskriptiv behavioristischen Ansatz (siehe Kapitel Lerntheoretische Modelle > SORCK-Modell) wird die Verhaltensgleichung im kognitiv-behavioristischen Ansatz komplizierter:

Zwischen Stimulus und Reaktion werden nun (kognitive) vermittelnde Prozesse und Strukturen angenommen (z. B. Ergebnis- und Selbstwirksamkeitserwartungen, Attribuierungsgewohnheiten), wie dies beispielhaft in der folgenden Verhaltensgleichung S-WP-IV-V-C gezeigt wird (nach Nolting & Paulus, 2012).

S
WP
IV
C
Situation
Wahrnehmung
Innere Verarbeitung
Handeln / Erleben
Konsequenzen
Überdauernde oder akute interne oder externe Bedingungen und Ereignisse
(z. B. räumliche, zeitliche, materielle Bedingungen; Bedürfnislage, Gedanken, Vorhaben des Handelnden)
– Orientieren,
– Aufnehmen und
– Kodieren
von Information
Interpretation und Bewertung der Situation…
Verschiedene Ebenen:
– Beobachtbares Verhalten
– Subjektives Erleben
– Körperliche Reaktionen.
– Verstärkung (positiv oder negativ)
– Bestrafung (aversiv, Verlust);
– Keine

Verhaltensgleichung (Bartling, Echelmeyer & Engberding, 2008)

Literatur

Bartling, G., Echelmeyer, L. & Engberding, M. (2008). Problemanalyse im therapeutischen Prozess. Leitfaden für die Praxis (5. Aufl.). Stuttgart: Kohlhammer.

Nolting, H.-P. & Paulus, P. (2012). Psychologie lernen. Eine Einführung und Anleitung. Weinheim: Beltz.

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