Kognitive Modelle

26 Einleitung: Kognitive Modelle

Wir alle haben kognitive Fähigkeiten — das intellektuelle Potenzial, zu denken, uns zu erinnern und Spekulationen über die Zukunft anzustellen. Das reflexive Bewusstsein ist ein typisches Kennzeichen des Menschen (Kriz, 2007). Diese Fähigkeit ermöglicht uns, unsere Lebensaufgaben zu meistern und kann uns zu grossen Leistungen verhelfen. Aber diese Fähigkeit kann auch gegen uns arbeiten. Bei der kognitiven Organisation und Speicherung unserer täglichen Erfahrungen können wir unangenehme und für das Wohlergehen ungeeignete Vorstellungen entwickeln oder Erfahrungen so interpretieren, dass sie zu kontraproduktiven Entscheidungen, fehlangepassten Reaktionen und unnötig schmerzlichen Gefühlen führen (Comer, 2008).

Auch viele Behavioristen erkannten, dass Menschen von Gedanken und Überzeugungen geleitet werden, also kognitiven Verhaltensweisen, die von der behavioristischen Theorie weitgehend ignoriert wurden. Daher begannen sie, eigene Theorien zu entwickeln, die das nicht sichtbare Verhalten ebenfalls berücksichtigten. Diese kognitiv-behavioristischen Theorien schlagen eine Brücke zwischen dem lerntheoretischen und dem kognitiven Modell (Comer, 2008).

Die kognitiven Theorien anerkennen zwar, dass kognitive Prozesse durch klassisches und operantes Konditionieren sowie Modelllernen erworben und aufrechterhalten werden können. Gleichzeitig betonen sie, dass die Fähigkeit zu denken der wichtigste Aspekt sowohl des normalen als auch des abweichenden Erlebens und Verhaltens ist. Menschen verhalten sich aufgrund von Gedanken und Interpretationen; es sind also viel mehr die Gedanken als die Taten, die am eingehendsten untersucht werden müssen. Dem Individuum wird eine aktive Rolle gegenüber der Umwelt und bei der Steuerung von Lernprozessen zugesprochen (Comer, 2008).

Einstiegsvideobeispiel zur kognitiven Dissonanz: Dr. Philip Zimbardo walks us through a lesson in Cognitive Dissonance. Dr. Leon Festinger’s theory shows us the precursor to Justification of Effort.

Die Einteilung im vorliegenden Kurs in lerntheoretische und kognitive Modelle ist bis zu einem gewissen Grad willkürlich, Die beiden Modelle haben viele Gemeinsamkeiten und könnten ebenso unter einem einzigen Modell subsumiert werden. Die Zweiteilung dient eher dazu, die theoretischen Positionen prägnanter formulieren zu können.

Unterschiede zum Behaviorismus

Die folgende tabellarische Darstellung zeigt anhand von Stichworten wichtige Unterschiede zwischen Behaviorismus (lerntheoretische Modelle) und Kognitivismus (Kognitive Modelle) auf (nach Lefrançois, 2006, S. 191):

Behaviorismus
Kognitive Modelle und Kognitivismus
Grundlegende Konzepte
Stimuli, Reaktionen, Verstärkung
Höhere geistige Prozesse (Denken, Vorstellen, Problemlösen)
Wichtigste Metaphern
Maschinenartige Eigenschaften menschlicher Funktionen
Auf Informationsverarbeitung und Computern basierende Metaphern
Geforscht wird typischerweise an
Tieren, nur manchmal an Menschen
Menschen, nur manchmal an Tieren
Hauptziele
Entdeckung vorhersagbarer Beziehungen zwischen Stimuli, Reaktionen und Konsequenzen der Reaktionen
Nützliche Schlussfolgerungen über beim Verhalten vermittelnde geistige Prozesse, sowie deren Einfluss auf das Verhalten
Theorieumfang
Oft wird angestrebt, alle wesentlichen Verhaltensaspekte zu erklären
Im Allgemeinen geringerer Umfang, es sollen eher spezifische Handlungen und Prozesse erklärt werden
Theoretiker, die die Richtung repräsentieren
Watson, Pawlow, Guthrie, Skinner, Hull
Beck und weitere Verhaltenstherapeuten, Bandura, die Gestaltpsychologen, Bruner, Piaget, Wygotski, konnektionistische Theorien *)

*)  Konnektionistische Theorien basieren auf neuronalen Netzwerken, die ähnlich wie Menschen reagieren und lernen und in gewissen Bereichen symbolbasierten Modellen überlegen sind (Lefrançois, 2006).

Kommentar: Die Beschreibung der verschiedenen Positionen in den Lehrbüchern hängt stark von den Zielen der Autoren ab: Handelt es sich um die Vermittlung von eher abstraktem wissenschaftstheoretischem Hintergrundwissen oder geht es um klinisches, pädagogisches oder psychotherapeutisches, praktisch anwendbares Handlungswissen?

Begriffsklärungen

Die Begriffe Kognitivismus, Kognitive Modelle, Kognitive Psychologie, Kognitionswissenschaft und Kognition allgemein bezeichnen verschiedene Sachverhalte, Denkmodelle und Theorien. Der folgende Vertiefungsblock ist ein Versuch, die einzelnen Begriffe zu erläutern und voneinander abzugrenzen.

Kognitive Modelle (des Verhaltens)

Theoretische Annahmen und Erklärungen zum Erleben und Verhalten des Menschen, vor allem zum abweichenden oder herausfordenden Verhalten. Dazu gehören die kognitiven Verhaltenstherapien und die sozial-kognitiven Lerntheorien (z. B. Modelllernen), deren Konzepte und wichtigste Vertreter im Kapitel zur kognitiven Verhaltenstherapie vorgestellt werden.

Kognitivismus und Kognitive Psychologie

Der Kognitivismus ist eine breite Richtung der heutigen Psychologie, die die Interaktionen des Menschen mit seiner Umwelt als Ausdruck eines kontinuierlichen Informationsaustausches betrachtet (Nolting & Paulus, 2010). Im vorliegenden Modul werden im Kapitel Kognitivismus die kognitiven Lerntheorien von Bruner, Piaget und Wygotski vorgestellt.

Die kognitive Psychologie untersucht die höheren geistigen Prozesse wie Aufmerksamkeit, Sprachverwendung, Gedächtnis, Wahrnehmung, Problemlösen und Denken.

In den letzten drei Jahrzehnten wurde die kognitive Psychologie durch das interdisziplinäre Gebiet der Kognitionswissenschaft ergänzt (siehe unten).

(c) Zimbardo & Gerrig (2008)

Kognitionswissenschaft

Die Kognitionswissenschaft befasst sich mit dem gesammelten Wissen aus mehreren Fachrichtungen mit vergleichbaren theoretischen Fragestellungen. Sie ist ein interdisziplinäres Gebiet, das sich mit der Untersuchung der Informationsverarbeitung, ihren Prozessen und Zugangssystemen befasst.

(c) Zimbardo & Gerrig (2008)

Kognition

Kognition ist ein allgemeiner Begriff für alle Formen und Prozesse des Wissens, einschliesslich Aufmerksamkeit, Erinnerung und Schlussfolgern, Begriffe und Gedächtnisinhalte.

In der Psychologie bezeichnet Kognition die mentalen Prozesse und Strukturen eines Individuums wie Gedanken, Meinungen, Einstellungen, Wünsche und Absichten. Kognitionen können auch als Informationsverarbeitungsprozesse verstanden werden, in denen Neues gelernt und Wissen verarbeitet wird.

Zu den kognitiven Fähigkeiten eines Menschen zählen u. a. die Wahrnehmung, die Aufmerksamkeit, die Erinnerung, das Lernen, das Problemlösen, die Kreativität, das Planen, die Orientierung, die Imagination, die Argumentation, die Introspektion, der Wille, das Glauben und einige mehr (Zimbardo & Gerrig, 2008).

Weiterführende Links und Literatur

  • Wikipedia-Artikel zur Kognition
  • Zimbardo, P. G. & Gerrig, R. J. (2008). Psychologie (18. Aufl.). München: Pearson Studium. Kapitel zur Kognition (S. 344 ff.).

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