Kognitive Modelle

30 Kognitive Verhaltenstherapie

Kognitive Verhaltenstherapie

Die kognitive Verhaltenstherapie hat sich seit den 1960er Jahren aus einer Gegenbewegung zum Behaviorismus entwickelt. Als Begründer kognitiver Therapien gelten Aaron T. Beck und Albert Ellis.

Im Mittelpunkt der kognitiven Therapieverfahren stehen Einstellungen, Gedanken, Bewertungen und Überzeugungen. Die kognitiven Therapieverfahren gehen davon aus, dass unsere Denkprozesse bestimmen, wie wir uns fühlen und verhalten und auch wie wir körperlich reagieren. Schwerpunkte der Therapie sind:

  • die Bewusstmachung von Kognitionen
  • die Überprüfung von Kognitionen und Schlussfolgerungen auf ihre Angemessenheit
  • die Korrektur von irrationalen Einstellungen
  • der Transfer der korrigierten Einstellungen ins konkrete Verhalten

Die kognitive Therapie stellt somit die aktive Gestaltung des Wahrnehmungsprozesses in den Vordergrund, weil die subjektive Sicht der Betroffenen über das Verhalten entscheidet. Ist die Kognition inadäquat (z. B. durch selektive Wahrnehmung und Bewertung), ist auch die Möglichkeit beeinträchtigt, Affekt und Verhalten zu korrigieren.

 

Das Bild zeigt zwei Tierfiguren als Handpuppen im Gespräch.
(c) www.kinderundfamilientherapie.de/

Problemlösung und Selbstinstruktion

Problemlösungstherapien

Ein unangenessener Umgang mit Sachproblemen und schwierigen Lebenssituationen kann zu erheblichen Beeinträchtigungen führen. In Problemlösungstherapien geht es um den Erwerb allgemeiner Strategien für eine erfolgreiche Bewältigung problematischer Situationen (Kriz, 2007).

Das Bild zeigt eine ratlose Comic-Figur vor einem Gewirr von Schachteln und Gegenständen.
(c) ews.tu-dortmund.de
  1. Allgemeine Einstellung: Hier geht es darum, das Auftreten von Problemen als normal anzusehen, eine differenzierte Wahrnehmung für solche Problemsituationen und eine positive Einstellung zur Bewältigung zu entwickeln.
  2. Definieren und Formulieren des Problems: Die einzelnen Elemente des Problems müssen möglichst klar erfasst, ggf. von einer abstrakten auf die konkrete Ebene übertragen und hier reformuliert werden.
  3. Finden von Alternativen: Im Sinne des Brainstormings sollten zuerst viele Lösungsmöglichkeiten gesammelt (und nicht durch vorzeitige Bewertungen bereits vor der weiteren Betrachtung eliminiert) werden.
  4. Entscheiden: Erst nach Phase (3) sollen alle Alternativen hinsichtlich der Kosten und des Nutzens sowie der Wahrscheinlichkeit der sich ergebenden Konsequenzen beurteilt werden.
  5. Überprüfen: Nach der erfolgten Entscheidung und Handlung soll eine erneute Bewertung über die Bewältigung des Problems durchgeführt werden.

Selbstinstruktion

Der Ausgangspunkt der Methode der Selbstinstruktion ist die Erkenntnis, dass das menschliche Handeln und Erleben von einem selbstreflexiven inneren Dialog begleitet wird. Der Selbstinstruktionsansatz geht auf Donald W. Meichenbaum zurück.
Der innere Dialog bewertet die Ereignisse und Gedanken, und die Bewertung entscheidet darüber, ob diese Phänomene als positive Verstärker oder als Bestrafung wirken. Nicht das Ereignis selbst ist dann ein positiver oder aversiver Reiz, sondern dessen Bewertung (Kriz, 2007).

Beispiel: Wenn man als Schüler in der Pause ist und niemand spricht mit einem, so kann man sich sagen: «Wie furchtbar, niemand scheint an mir interessiert zu sein. Es ist peinlich, so gemieden zu werden. Niemand mag mich — das ist kaum zu ertragen», oder man kann zu sich sagen: «Fein, endlich kann ich mich mal entspannen und dem Treiben zusehen. Es ist toll, so aus etwas Abstand meine Mitschüler zu beobachten» (Kriz, 2007).

Meichenbaum unterteilt den Therapieprozess in drei Phasen (Kriz, 2007):

  1. Phase: Begriffliche Strukturierung des Problems. Das Problem des Klienten und das damit verbundene Begriffsschema werden erörtert, der Therapeut führt eine Situationsanalyse durch, und der Behandlungsanfang wird geplant.
  2. Erprobung des Konzepts: Der Therapeut hilft dem Patienten, die begriffliche Struktur des Problems (Schema) zu erforschen und auszuprobieren. Der Patient lernt, dass es nicht äussere Ereignisse sind, sondern seine eigenen Gedanken und Bewertungen, die das Problem auslösen.
  3. Modifikation von Selbstaussagen und Produktion neuer Verhaltensweisen: Mit verschiedenen Techniken der kognitiven Verhaltenstherapie, gekoppelt mit den Selbstinstruktionen, wird versucht, die Selbstaussagen und Verhaltensweisen zu ändern.

Selbstinstruktion bei Kindern:
Bei überaktiven und impulsiven Kindern soll das motorische Verhalten in drei Stufen unter verbale Kontrolle gebracht werden:

  1. Zuerst soll das Sprechen anderer (meist Erwachsener) das Verhalten der Kinder leiten,
  2. dann soll das Kind selbst seine Pläne und Handlungen durch lautes Sprechen steuern,
  3. schliesslich soll dieses laute Sprechen durch ein inneres Sprechen abgelöst werden.

Selbstinstruktionstraining gilt als wirksame Intervention bei Störungen der Aufmerksamkeit und der Selbststeuerung (ADS, ADHS). Auch bei Angststörungen wird es mit Erfolg eingesetzt.

Kognitive Therapie (Aaron T. Beck)

Kognitive Schemata

Die kognitive Therapie geht auf Aaron T. Beck (geb. 1921) zurück und bezieht sich in erster Linie auf seine Theorie der  Entstehung und Aufrechterhaltung der Depression. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse haben aber über die Depression hinaus viele kognitive Theorien beeinflusst.

Die Grafik zeigt die kognitive Triade mit Beispielsätzen für alle drei Aspekte.
(c) members.aon.at/

Becks Theorie der Depression enthält drei wesentliche Elemente als mögliche Auslöser der Depression:

  1. Verzerrte Informationsverarbeitungsprozesse (auch als «Denkfehler» bezeichnet). Aufgrund in der Kindheit gelernter Schemata findet laut Beck eine fehlerhafte Informationsverarbeitung statt, die eindimensionale, invariable,  verabsolutierende oder irreversible Annahmen trifft.
  2. Negative Gedankeninhalte (Negative kognitive Triade): Diese Gedankeninhalte betreffen das Selbst, die Welt und die Zukunft. Der Patient hat ein negatives Selbstbild, aber auch die Umwelt und die Zukunft werden negativ beurteilt.
  3. Kognitive Schemata. Diese stammen aus vergangenen Erfahrungen und steuern unsere Informationsaufnahme und -verarbeitung.

Kognitive Schemata und die negative kognitive Triade
Kognitive Schemata ordnen und organisieren die Aufnahme und die Verarbeitung von Informationen aus der Umwelt und wirken wie Filter, die selektiv bestimmte Aspekte unserer Erfahrung hervorheben oder unterdrücken, je nach Grundüberzeugungen des Individuums (Petermann et al., 2011). Gemäss Beck ist das Denken von Depressiven durch negative Schemata gekennzeichnet. Die Enstehung der Depression wird dabei vor allem durch die negative kognitive Triade bestimmt; es handelt sich dabei um negative Überzeugungen einer Person über sich selbst, über die Welt und über die Zukunft (siehe Beispiele in der Abbildung).
Diese Überzeugungen gehen so weit, dass die Betroffenen denken, sie seien unfähig, erfolgreich und glücklich zu sein. Sie neigen dazu, sich zu unterschätzen und zu kritisieren. Viele Erfahrungen werden als Enttäuschungen und Niederlagen empfunden, und auch die Zukunftserwartung ist negativ geprägt.
Die negativen Überzeugungen und Schemata werden durch spezifische Verzerrungen im Denken Depressiver aufrechterhalten, die als Denkfehler bezeichnet werden.

Mit dem Konzept der kognitiven Schemata wird erklärt, warum ein depressiver Patient trotz objektiver Belege für positive Faktoren in seinem Leben seine schmerzverursachende und selbstverletzende Haltung beibehält. Schemata sind hier stabile kognitive Verarbeitungsmuster, die sich in der Kindheit und Jugend herausgebildet haben. Sie können für längere Zeit inaktiv sein, aber durch bestimmte Umweltereignisse (z.B. Stresssituationen) reaktiviert werden.

Typische Denkfehler depressiver Menschen

Beck identifizierte eine Reihe von Denkfehlern, die für die Depression charakteristisch sind und negative Überzeugungen aufrechterhalten, obwohl die realen Erfahrungen und rationale Bewertungen dagegen sprechen (nach Petermann et al., 2011; Beispiele aus Comer, 2008).

  • Willkürliches Schlussfolgern: Folgerungen und Bewertungen ohne Erfahrungsgrundlage oder sichtbaren Beweis (oder sogar trotz gegenteiliger Erfahrungen).

    Wenn beispielsweise ein Mann durch den Park geht und einer Frau begegnet, die auf die Bäume und Blumen in der Nähe schaut, folgert er: «Sie vermeidet es, mich anzusehen».
    Das Cartoon zeigt einen Jungen, der fälschlicherweise annimmt, dass zwei Mädchen über ihn sprechen und sich damit selber den Tag verdirbt.
    (c) Comer, 2008
  • Selektive Abstraktion: Überbewertung oder Ignorieren von bestimmten Einzelfakten, unabhängig vom Kontext. Bestimmte Informationen werden auf Kosten anderer überbewertet.

    Beispielsweise tritt eine Komikerin in einem Varieté vor einem Publikum auf, das bei allen ihren Witzen — bis auf einen — mitgeht, lacht und begeistert applaudiert. Sie versteift sich auf diesen einen Witz und folgert: «Heute abend hab‘ ich’s nicht gebracht.»
  • Übergeneralisierung: Übertragung von Schlussfolgerungen aus einem Ereignis auf ähnliche oder schliesslich auch auf unähnliche Ereignisse; eine Regel wird unterschiedslos auf ähnliche und unähnliche Situationen angewendet.

    Beispielsweise fällt einem Schüler im Geschichtsunterricht das Unterzeichnungsdatum der Magna Charta nicht ein, und er läuft den Rest des Tages in der Überzeugung herum, er sei dumm.
  • Absolutistisches, dichotomes Denken: Erfahrungen werden in Alles oder Nichts-Kategorien bewertet (Schwarz-Weiss-Denken).

    Zum Beispiel interpretiert jemand das Ausbleiben eines erwarteten Briefes als höchst bedeutsam. Oder ein grosser beruflicher Erfolg wird als bedeutungslos angesehen.
  • Personalisierung: Äussere Ereignisse werden ohne Evidenz auf die eigene Person bezogen.

    Wenn beispielsweise das Sonntagspicknick wegen eines plötzlichen Unwetters verschoben wird, macht sich ein Vater Vorwürfe, er habe seiner Familie den Spass verdorben, weil er diesen Tag ausgesucht hat. Oder eine Frau glaubt, sie sei schuld an der Scheidung ihrer Schwester, weil sie ihre seltenen Besuche und ihre fehlende Sensibilität irgendwie dafür verantwortlich hält.
  • Maximieren und Minimieren: Negative Ereignisse werden überbewertet und positive Ereignisse unterbewertet.

    Eine Schülerin erhält beispielsweise eine Sechs in einer schwierigen Englischarbeit, folgert jedoch, dass sich in der Note eher die Grosszügigkeit des Lehrers niederschlägt als ihre eigene Fähigkeit (Minimierung). Später in dieser Woche erkältet sich diese Schülerin und versäumt den Englischunterricht. Sie ist überzeugt, dass sie das Versäumte im Rest des Schuljahrs nicht mehr aufholen kann und durchfallen wird (Maximierung).

Automatische Gedanken

Negative Gedanken können sich verselbständigen und Erleben und Verhalten beeinträchtigen. Während wir uns im Alltag bewegen, gehen uns unzählige Gedanken durch den Kopf; manche trösten uns, andere beunruhigen uns. Beck hat diese unwillkürlichen Kognitionen automatische Gedanken genannt. Wenn der Strom der automatischen Gedanken einer Person überwiegend negativ ist, muss nach Beck diese Person depressiv werden (Comer, 2008).

Die Zeichnung zeigt einen schematischen Kopf aus dem ein Gewirr von unleserlichen Wörtern steigt.
(c) www.frauencoaching.de/

Diese spontan auftretenden oder durch Situationen ausgelösten automatischen Gedanken sind Teil der bereits erwähnten kognitiven Schemata. Es handelt es sich dabei um Vorstellungen und Bewertungen, die unbewusst ablaufen und wenig Aufmerksamkeitskapazität beanspruchen, aber intensive Emotionen auslösen können (Petermann et al., 2011).

Depressive Menschen erleben die kognitive Triade z. B. in Form einer ununterbrochenen Kette unangenehmer Gedanken. Damit werden sie immer wieder an ihre angebliche Unzulänglichkeit und die Hoffnungslosigkeit ihrer Lage erinnert. In kurzer Zeit können Hunderte solcher Gedanken depressive Menschen heimsuchen: «Ich bin wertlos. Ich werde es nie zu etwas bringen. Ich lasse alle im Stich. Alle hassen mich. Meine Pflichten wachsen mir über den Kopf. Ich bin dumm. Alles ist schwierig für mich…» (Comer, 2008).

Das Modell der Depression nach Beck

Das folgende Modell zeigt schematisch die Entstehung und die Aufrechterhaltung der Depression nach dem Modell von Beck.

Das Flussdiagramm illustriert die Entstehung und Aufrechterhaltung der Depression nach dem Modell von Beck.
(c) Petermann et al., 2011)

Das folgende Fallbeispiel einer depressiven Jugendlichen veranschaulicht die im Diagramm dargestellten Prozesse:

Jennifer war in der Kindheit eher zurückhaltend und schüchtern. Sie hatte jedoch immer Freundinnen, mit denen sie sich gut verstand. Und sie interessierte sich sehr für Pferde, Musik und Gitarre. In der Schule war sie gewissenhaft und fleissig. Nach der Trennung ihrer Eltern und einem Umzug hat sie jedoch grosse Schwierigkeiten, in der neuen Schule Anschluss zu finden. Ihre beiden besten und einzigen Freundinnen begeistern sich mittlerweile für Mode, Disco und Jungen — Dinge, mit denen sie nicht viel anfangen kann. Jennifer fühlt sich von ihren Freundinnen gekränkt. Sie erlebt sich als unattraktiv und langweilig. Sie ist einsam, traurig, fühlt sich auch von der Mutter nicht verstanden. Immer häufiger zieht sie sich in ihr Zimmer zurück. In der Schule kann sie sich nicht konzentrieren, fehlt wegen Bauch- oder Kopfschmerzen, und ihre Noten werden schlechter, obwohl sie sich weiter bemüht. Sie isst immer weniger. Abends kann sie nicht einschlafen und grübelt darüber nach, warum in ihrem Leben alles schief läuft. Sie denkt, dass sie nie wieder richtig glücklich sein wird. Zwei Tage nach ihrem 16. Geburtstag versucht sie, sich mit den Schlaftabletten ihrer Mutter umzubringen. Sie hat nur einen einzigen Gedanken: Es ist alles ausweglos, und niemand versteht sie.

(Quelle: www.ptk-nrw.de/)

Der Teufelskreis der Depression

Rückfälle bei Depression sind häufig und lassen sich oft nicht mit einem äusseren Lebensereignis erklären. Teasdale (1988) geht in seinem Differential Activation-Modell davon aus, dass das Auftreten einer depressiven Episode die Vulnerabilität erhöht. Die Assoziationen zwischen niedergeschlagener Stimmung, negativer Selbstbewertung und Gedächtnis- und Wahrnehmungsprozessen werden intensiviert und das erneute Auftreten von depressiven Episoden wird in einem Teufelskreis begünstigt (Petermann et al., 2011).

 

Die Grafik zeigt den Teufelskreis der wiederkehrenden Depression.
(c) Petermann et al., 2011

Kritik an Becks Theorie der Depression

Kritik an Becks kognitiver Theorie der Depression wurde von verschiedener Seite geübt:

  • Beck postuliert, dass unrealistische Schemata und gestörte Kognitionen die Ursache der Depression sind. Man könnte jedoch auch argumentieren, dass diese eher die Folge von Depressionen sind als deren Ursache: In Phasen der Erholung verschwinden die dysfunktionalen Einstellungen.
  • Rationale Argumente erweisen sich oft, trotz Einsicht des Klienten, als ineffektiv.
  • Depressives Denken ist zustandsabhängig.
  • Depressiver Realismus: Depressive haben oft bessere Einschätzungen als Nicht-Depressive darüber, inwieweit sie Aufgaben bewältigen können oder nicht (die Dysfunktionalität ist somit fraglich).

Panikstörung, soziale Phobie

Panikstörung und Angststörung

Kognitive Erklärungsansatze für Panik- und Angststörungen postulieren, dass aufgrund früher negativer Erfahrungen dysfunktionale kognitive Schemata entstehen, die in der weiteren Entwicklung durch Belastungsfaktoren aktualisiert werden können (Petermann et al., 2011). Die dabei beteiligten kognitiven Schemata äussern sich in negativen Grundüberzeugungen und in der unrealistischen Bewertung von Bedrohungsreizen- und situationen, die automatisiert ablaufen und deshalb der rationalen Einschätzung wenig zugänglich sind.

Das Bild zeigt eine Frau mit schmerverzerrtem Gesicht.
(c) www.spektrum.de/

Man geht davon aus, dass Betroffene aufgrund negativer Grundüberzeugungen gewisse Körperempfindungen als lebensbedrohliche Gefahr interpretieren. Die positive Rückkoppelung zwischen Bewertung, Angst und körperlichen Empfindungen entwickelt sich im Sinne eines Teufelskreises zu einer Angstattacke. So werden z. B. Herzklopfen und Schwindel als Anzeichen eines Herzinfarkts interpretiert, daraus resultiert eine verstärkte Angst, die das sympathische Nervensystem aktiviert. Dadurch werden die körperlichen Empfindungen verstärkt, was als Beweis gilt, dass eine lebensgefährliche Attacke abläuft, was wiederum die Angst verstärkt usw. (nach Petermann et al., 2011).

Beispiel: Typische Kognitionen und Sicherheitsverhalten von Patienten mit Panikstörung

  • Das Herzklopfen zeigt, dass mit meinem Herz etwas nicht in Ordnung ist und ich einen Herzinfarkt bekommen werde!
  • Der Schwindel und die verschwommene Sicht sind eindeutig Symptome eines Hirntumors!
  • Der Druck auf der Brust wird immer stärker, ich werde ersticken!
  • Ich fühle mich so komisch losgelöst von meinem Körper, ich bin dabei verrückt zu werden!

(aus Petermann et al., 2011)

Automatische vs. strategische Verarbeitung (Petermann et al., 2011)

Eine der Grundannahmen der kognitiven Psychologie ist, dass die Kapazitäten zur Verarbeitung von Informationen begrenzt sind. Nach dem Modell von Shiffrin und Schneider (1977; Schneider & Shiffrin, 1977) sind zwei Arten von Verarbeitungsprozessen zu unterscheiden:

  1. Automatische Prozesse beinhalten Operationen, die wenig Kapazität erfordern und deshalb parallel abgewickelt werden können. Der Ablauf ist unflexibel und stereotyp, nicht bewusst, und in der Regel schnell. Sie sind unvermeidbar, wenn bestimmte Hinweisreize auftreten, und sie sind für die Durchführung von Operationen in konstanten Stimulussituationen geeignet.
  2. Kontrollierte Prozesse beinhalten Operationen, die viel Aufmerksamkeitskapazität erfordern und deshalb nur seriell verlaufen können. Aufgrund der begrenzten Kapazität kann es bei gleichzeitigem Ablauf mehrerer Operationen zu Interferenzen kommen. Sie sind eher bewusst und stehen unter volitionaler Kontrolle. Kontrollierte Prozesse sind flexibel und deshalb in neuartigen Situationen sinnvoll.

Beck und Clark (1997) haben diese Unterscheidung in ihrem Modell der automatischen vs. kontrollierten (oder strategischen) Verarbeitungsprozesse bei emotionalen Störungen aufgegriffen. Am Beispiel von Angststörungen gehen sie von drei Phasen der Informationsverarbeitung aus, die durch kognitive Schemata gesteuert werden:

  1. Phase der initialen Wahrnehmung von bedrohungsrelevanten Reizen: diese Prozesse sind sehr schnell und gänzlich im automatischen Modus;
  2. Phase der unmittelbaren Vorbereitung einer Bewältigungsreaktion (z. B. Flucht oder Kampf): teilweise automatisierte und nicht rationale Reaktionsmuster, die jedoch auch durch kontrollierte Prozesse wie die Bewertung von Bedrohungsreizen gesteuert werden können;
  3. Phase der sekundären Aktivierung von stärker elaborierten, rationalen Denkprozessen: hierzu wären die Bewertung eigener Bewältigungsmöglichkeiten, Metakognitionen (Gedanken über Gedanken), Sorgen oder auch Sicherheitsverhalten zu zählen.

Der Wert eines solchen Konzeptes liegt darin, dass hieraus auch eine therapeutische Strategie abgeleitet werden kann; Ziel der kognitiven Behandlung ist es nach Beck, die frühen automatischen Prozesse, insbesondere der zweiten Phase, zu deaktivieren und strategische Prozesse zu stärken.

Video: Teufelskreis der Angst

Im folgenden Videoausschnitt beschreibt Prof. Dr. Guy Bodenmann den «Teufelskreis der Angst» (Video aufgenommen an den Fortbildungstagen HfH im Januar 2014).

 

 

Das kognitive Modell der Panikstörung nach Clark (1986) zeigt einen ganz ähnlichen Aufbau (aus Petermann et al., 2011).

Die Grafik das zirkuläre Modell der Panikstörung.
(c) Petermann et al., 2011

Soziale Phobie und posttraumatische Belastungsstörung

Soziale Phobie
Ganz ähnlich wie für die vorangegangenen Modelle werden auch für die sozialen Phobien negative kognitive Schemata, Fehlüberzeugungen und irrationale Ansichten verantwortlich gemacht. Clark und Wells (1995) machen dafür vor allem drei Faktoren verantwortlich (Petermann et al., 2011):

  1. Exzessive Selbstaufmerksamkeit: Die eigene Anspannung wird stark wahrgenommen, während die tatsächlichen Reaktionen der andern weniger beachtet werden.
  2. Verzerrte Vorstellungen zum eigenen Erscheinungsbild: Das innere Bild des eigenen Aussehens und der Wirkung auf andere wird von Erinnerungen an Blamagen und Misserfolge verfälscht.
  3. Sicherheitsverhalten: Die Vermeidungsmassnahmen zur Abschwächung oder Abwendung der Blamage scheinen zwar zu wirken, bewirken aber gleichzeitig eine Zunahme der Angst und verstärken die phobischen Abwehrmassnahmen.

Beipiele:

  • übertriebene Vorbereitung auf eine Situation (Prüfung), um eine akzeptable Leistung zu zeigen.
  • Versuche zur Reduktion von Angst (z. B. mit Hilfe von Alkohol),
  • Versuche, negativer Bewertung vorzubeugen (z. B. Schwitzen durch Hitze entschuldigen).

(nach Petermann et al., 2011)

PTB: Posttraumatische Belastungsstörung

Personen mit posttraumatischer Belastungsstörung (PTB) erleben dauerhaft sich immer wieder aufdrängende belastende Gedanken und Erinnerungen an das Trauma (Bilder, Alpträume, Flashbacks). In der Folge werden Auslöser für die Erinnerung vermieden, und die Betroffenen entwickeln Symptome von emotionaler Taubheit.
Die Störungen des Gedächtnisses durch das Trauma können sich zu einem so genannten Furchtgedächtnis entwickeln. Die Theorie des Furchtgedächtnisses geht davon aus, dass die Erinnerungen an das Trauma Informationen zu Stimuli, Reaktionen und Bedeutungen enthalten, die im assoziativen Netzwerk des Gedächtnisses gespeichert sind (Petermann et al., 2011). Patienten mit PTB können dadurch fortlaufend eine Gefahr erleben, obschon die aktuelle Situation ungefährlich ist.

Welche kognitiven Faktoren tragen zur Entwicklung einer PTB bei?

Eine posttraumatische Belastungsstörung ist nicht die einzige psychische Störung, die nach traumatischen Erlebnissen auftreten kann. Sehr oft entwickeln die Betroffenen auch Depression oder Angststörungen. Ehring, Ehlers und Glucksman (2008) untersuchten die Frage, ob die in den unterschiedlichen kognitiven Modellen dieser psychischen Störungen enthaltenen spezifischen Variablen auch vorhersagen können, welche Betroffenen welche Störung entwickeln. Hierzu wurden 147 Personen, die in einem Verkehrsunfall Verletzungen davontrugen, zu fünf Messzeitpunkten untersucht: am Unfalltag, nach zwei Wochen, sowie nach einem, zwei und sechs Monaten. Ausgehend von Metaanalysen und kognitiven Modellen zur Entwicklung von PTB, (Fahr-) Phobien und Depression wurden am Unfalltag potenzielle Prädiktoren und zu den Nachbeobachtungsterminen die Diagnosen erfasst.

In multiplen Regressionsanalysen trugen die kognitiven Modellvariablen, zusätzlich zu den initialen Symptomausprägungen, jeweils zur Vorhersage der Entwicklung der spezifischen Störungen signifikant bei: Die Entwicklung von PTB wurde am besten durch PTB-typische Verarbeitungsprozesse während des Traumas, Desorganisation des Gedächtnisses, negative Bewertung des Traumas und der Folgen, Sicherheitsverhalten, Gedankenunterdrückung, Grübeln über das Trauma und Dissoziationstendenzen vorhergesagt. Für Depression wiederum waren die besten Prädiktoren Selbstabwertung, depressives Grübeln, körperliche Probleme, belastende Lebensereignisse vor dem Unfall und geringe soziale Unterstützung. Insgesamt kann man die Resultate als guten Beleg für die störungsspezifische Vorhersagevalidität kognitiver Modelle bei einer PTB und Depression werten (Petermann et al., 2011).

Rational-Emotive Therapie (RET)

Die Grafik zeigt das erweiterte ABC-Modell von Albert Ellis.
(c) Wikipedia

Die rational-emotive Therapie (RET) wurde von Albert Ellis (geboren 1913) ab den 1950er Jahren entwickelt. Wichtigstes Konzept dieser Therapieform sind diedysfunktionalen Kognitionen (auch irrationale Ideen genannt), die die Betroffenen in ihrem psychischen Wohlbefinden beeinträchtigen und Störungen des Verhaltens bewirken können (Kriz, 2007). Die Überzeugungen mancher Menschen sind weitgehend irrational und bringen sie deshalb zu Handlungen und Reaktionen, die unangemessen sind und ihre Chancen auf Glück und Erfolg beeinträchtigen. Ellis nennt sie grundlegende irrationale Überzeugungen (Comer, 2008).

Ellis Verdienst liegt weniger in einer breiten theoretischen Fundierung seines Verfahrens, als vielmehr darin, mit der RET eine praktikable und effektive alternative Therapieform zwischen Psychoanalyse und behavioristischen Ansätzen gefunden zu haben.

Die folgende Beschreibung der RET stammt aus Kriz (2007):

In der RET sind, wie bei der kognitiven Theorie von Beck, dysfunktionale Zuschreibungen von Bedeutungen zu bestimmten Ereignissen zentral. ImA-B-C-Schema geht es darum, die Psycho-Logik des Alltags zu hinterfragen, in der oft eine emotionale oder kognitive Reaktion als unmittelbare Folge (C, «consequence») eines bestimmten Ereignisses (A, «activating event») gesehen wird. Dabei «überspringt» man jedoch den eigentlich relevanten Auslöser für diese Reaktion: das «belief system» (B).

In der therapeutischen Praxis der RET kommt nach dem A-B-C auch das D («debating»): das auch von der Geschicklichkeit des Therapeuten abhängige Führen eines «sokratischen Dialogs». Dadurch soll es schliesslich zum Effekt (E) kommen: zu einer Neuorientierung des Bewertungssystems des Patienten.
Zunächst vermittelt der Therapeut dem Klienten das A-B-C-Schema der RET. Danach werden die Problemsituationen (A) und die gefühls- und verhaltensmässigen Konsequenzen (C) des Klienten genau analysiert und differenziert, bevor es dann (u. a. mit Hilfe der genannten Grundkategorien) an die Aufdeckung der irrationalen Ideen gehen kann. Zuletzt werden ausser dem «Disputieren, Debattieren, Diskriminieren und Definieren» (v. a. mit Hilfe des «sokratischen Dialogs») rationale, behavioristische und kognitive RET-Techniken angewendet.

Video: Albert Ellis über die RET

Im folgenden Videoausschnitt demonstriert Albert Ellis beispielhaft die Anwendung der Brief Rational-Emotive Therapy (Video mit Untertiteln versehen an der HfH).

 

Methoden der kognitiven Verhaltenstherapie

Kognitive Modellegehen davon aus, dass zwei Faktoren zur Entwicklung abweichenden Verhaltens beitragen: (1) Dysfunktionale kognitive Schemata als Verarbeitungsmuster, die zu störungsspezifischen Verzerrungen im Denken und zu emotionalen Symptomen beitragen, und (2) fehlerhafte Prozesse der Informationsverarbeitung, insbesondere der Aufmerksamkeit, des Gedächtnisses und der Interpretation von Erfahrungen (Petermann et al., 2011).

Die kognitive Verhaltenstherapie verbindet Methoden auf kognitiver und auf Verhaltensebene. Um eine Veränderung zu erreichen, werden kognitive Verfahren und verhaltensorientierte Verfahren eingesetzt.

Verhaltensorientierte Verfahren dienen dazu, den Klienten zu aktivieren und seine affektiven Störungen in den Griff zu bekommen. Die Änderung des Verhaltens führt zu positiven Emotionen, die wiederum zu veränderten Kognitionen führen.
Kognitionsorientierte Verfahren haben zum Ziel, eine langfristige kognitive Umstrukturierung zu erreichen: negative Kognitionen sollen durch rationalere ersetzt werden, was zu aktiverem, kompetenterem Verhalten führen soll.

Video: Kognitive Umstrukturierung

Im folgenden Videoausschnitt beschreibt Prof. Dr. Guy Bodenmann Techniken der kognitiven Umstrukturierung, wie sie in der Verhaltenstherapie angewendet werden (Video aufgenommen an den Fortbildungstagen HfH im Januar 2014).

 

Bezüge zur Heilpädagogik

Kognitive Modelle werden in der der Heilpädagogik vor allem in Form von Verhaltenstrainings eingesetzt, wie sie oben im Kapitel zur sozial-kognitiven Lerntheorie beschrieben werden:

Literatur

Petermann, Franz, Natzke, Heike, Gerken, Nicole & Walter, Hans-Jörg. (2006). Verhaltenstraining für Schulanfänger. Ein Programm zur Förderung sozialer und emotionaler Kompetenzen (2. Aufl.). Göttingen: Hogrefe.

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Verhalten: Grundlagen und Modelle Copyright © Margaretha Florin. Alle Rechte vorbehalten.