Biologische Modelle

67 Trauma und Belastungsstörungen

Trauma und Belastungsstörungen

Das Bild zeigt eine junge Frau inmitten eines Trümmerhaufens.
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Trauma
Als Trauma bezeichnet man in der Psychologie eine starke psychische Erschütterung (psychische Verletzung), welche durch ein traumatisierendes Erlebnis hervorgerufen wurde. In diesem Kontext spricht man auch von Psychotrauma. Der Begriff wird nicht einheitlich verwendet und kann sowohl das auslösende Ereignis, aber auch die Symptome oder das hervorgerufene Leiden bezeichnen.
Traumatische Erlebnisse entstehen durch subjektiv unerträgliche Erfahrungen, die den normalen Lebensablauf unterbrechen, und die von den Betroffenen nur über einen längeren Zeitraum  verarbeitet werden können (Petermann et al., 2011).

Belastungsstörungen
Eine psychische Belastung kann viele Formen und Ausmasse annehmen, und wir sind alle davon betroffen. Wir empfinden immer dann eine gewisse Bedrohung, wenn wir mit Forderungen oder Anlässen konfrontiert sind, die uns irgendeine Änderung abverlangen. Dieser Stresszustand besteht aus zwei Komponenten: einem Stressor — dem Ereignis, das die Anforderungen erzeugt — und einer Stressreaktion — den spezifischen Reaktionen einer Person auf diese Anforderungen.
Stressoren können im Leben in verschiedener Form auftreten: als alltägliche Belastungen wie Berufsverkehr oder plötzlich erscheinender, unerwarteter Besuch, als einschneidendere Lebensereignisse oder Übergänge, als lang andauernde Probleme wie Armut, schwache Gesundheit oder beengte Wohnverhältnisse und als traumatische Ereignisse wie Unfälle, Überfälle, Wirbelstürme oder Krieg (Comer, 2008).

Belastungsstörungen sind eine fest umschriebene Gruppe von Störungen mit wenigen Diagnosen. Dazu gehören (Petermann et al., 2011):

  • die posttraumatische Belastungsstörung
  • die akute Belastungsstörung
  • Anpassungsstörungen

Mögliche Reaktionen auf Stressoren beschreibt Comer (2008): Eine der Schlüsselreaktionen auf einen Stressor, den wir als bedrohlich bewerten, ist das Gefühl von Furcht. Furcht besteht im Grunde aus einem ganzen Bündel von Reaktionen — körperlichen, emotionalen und kognitiven. Körperlich geschieht Folgendes: Wir schwitzen, unsere Atmung wird schneller, unsere Muskeln spannen sich an, und unser Herz schlägt rascher. Wir werden vielleicht blass und bekommen Gänsehaut, unsere Lippen zittern, und wir empfinden Brechreiz. Wenn die Situation extrem bedrohlich ist, können wir Gefühle wie Entsetzen, Grauen und sogar Panik empfinden. Die Furcht kann unsere Konzentrationsfähigkeit beeinträchtigen und unsere Sicht der Welt verzerren. Wir übertreiben vielleicht den Schaden, der uns droht, oder begehen Gedächtnisirrtümer, wenn die Bedrohung vorüber ist (Comer, 2008, S. 150).

Vergleiche zum selben Thema im Modul Kognitive Modelle: Soziale Phobie und posttraumatische Belastungsstörung

Video: Wohlbefinden und Trauma

Im folgenden Videoausschnitt beschreibt Dr. med. Claudia Croos-Müller die Grundlagen menschlichen Wohlbefindens und die folgenschweren Auswirkungen eines Traumas (Video aufgenommen an den Fortbildungstagen HfH im Januar 2014).

 

Posttraumatische Belastungsstörung

Zeichnung eines Mädchens, das das Gesicht in den Händen versteckt.
(c) de.wikihow.com/

Manche Menschen leiden an einer akuten Belastungsstörung oder einer posttraumatischen Belastungsstörung, die infolge eines traumatischen Ereignisses entstanden ist. Das Ereignis enthält eine tatsächliche oder drohende schwere Verletzung oder eine Bedrohung des Lebens der betroffenen Person oder auch einer nahestehenden Person. Anders als bei Angst- oder Panikstörungen, die von Gegenständen oder Situationen ausgelöst werden, die für die meisten Menschen nicht bedrohlich sind, dürften die Situationen, die eine akute oder posttraumatische Belastungsstörung auslösen, für jeden Menschen traumatisch sein (z.B. Kriegsereignisse, Vergewaltigung, Erdbeben, ein Flugzeugabsturz) (Comer, 2008).

Zu den Symptomen gemäss DSM-IV schreibt Comer (2008, S. 153): Das DSM-IV sieht vor, dass das Muster als akute Belastungsstörung diagnostiziert wird, wenn die Angstsymptome innerhalb von vier Wochen nach dem traumatischen Ereignis auftreten und zwischen zwei und 28 Tage anhalten. Bestehen die Symptome länger als 28 Tage, ist die Diagnose posttraumatische Belastungsstörung angemessen. Etwa 80 Prozent aller Fälle mit akuter Belastungsreaktion entwickeln eine posttraumatische Belastungsstörung. Von den Unterschieden in Beginn und Dauer abgesehen, sind die beiden Krankheitsbilder nahezu identisch und umfassen die folgenden Symptome:

  1. Ständiges Wiedererleben des traumatischen Ereignisses: Die Person hat wiederholte Erinnerungen an das Ereignis oder stark belastende Träume davon (Elsesser et al. 2004; Michael et al. 2005). Einige Betroffene erleben das Ereignis so lebhaft wieder, dass sie glauben, sie befänden sich wirklich wieder in der traumatischen Situation (Flashbacks).
  2. Vermeidung: Die Person vermeidet gewöhnlich Aktivitäten oder Situationen, die an das Trauma erinnern, und versucht in der Regel, damit verbundene Gedanken, Gefühle oder Gespräche zu vermeiden (Marx & Sloan 2005).
  3. Einschränkung der Reagibilität: Die Person fühlt sich von anderen Menschen isoliert oder entfremdet oder verliert das Interesse an Aktivitäten, die ihr zuvor Freude bereiteten. Die reduzierte Reaktionsfähigkeit tritt besonders bei einer akuten Belastungsstörung hervor, bei der zusätzlich Anzeichen von Dissoziation vorhanden sein können (Marx & Sloan 2005): Benommenheit, Gedächtnisverlust, Derealisation (das Gefühl, die Umgebung sei unwirklich oder fremd) oder Depersonalisation (das Gefühl, die eigenen Gedanken oder der eigene Körper seien unwirklich oder fremd).
  4. Erhöhtes Erregungsniveau, Angst und Schuldgefühle: Menschen mit diesen Störungen können Hypervigilanz, übertriebene Schreckreaktionen, Schlafstörungen oder andere Zeichen eines erhöhten Erregungsniveaus sowie Konzentrations- oder Gedächtnisschwierigkeiten oder Schlafstörungen zeigen (Breslau et al. 2005). Manche empfinden schwere Schuldgefühle, weil sie das traumatische Ereignis überlebt haben und andere nicht. Manche fühlen sich auch schuldig wegen der Handlungen, die sie unternehmen mussten, um zu überleben.

Video: PTBS: Kriterien und Symptome

Im folgenden Videoausschnitt beschreibt Dr. med. Claudia Croos-Müller die Kriterien und Symptome der posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS), gemäss den Kriterien des in der Schweiz und in der Praxis üblichen ICD 10. (Video aufgenommen an den Fortbildungstagen HfH im Januar 2014).

 

Video: PTBS: Verhaltensbeobachtung

Auffälliges und herausfordendes Verhalten bei Kindern und Jugendlichen entsteht gemäss Croos-Müller (2014) oft auf dem Hintergrund von traumatischen Erlebnissen und nachfolgenden Belastungsstörungen.
Im folgenden Videoausschnitt beschreibt Dr. med. Claudia Croos-Müller Verhaltensbeobachtungen an Kindern mit PTBS und traumatischen Störungen (Video aufgenommen an den Fortbildungstagen HfH im Januar 2014).

 

Warum entwickeln Menschen eine PTBS?

Nicht alle Menschen sind gleichermassen für Belastungsstörungen anfällig. Zu den möglichen Risikofaktoren schreibt Comer (2008):

Eine Belastungsstörung kann durch aussergewöhnliche traumatische Ereignisse ausgelöst werden. Das belastende Ereignis allein bietet jedoch keine vollständige Erklärung. Zwar zieht ein solches Trauma sicher jeden, der es durchmacht, in Mitleidenschaft, doch nur bestimmte Menschen entwickeln eine dieser Störungen. Die Suche nach Risikofaktoren wird dadurch erschwert, dass diese Faktoren meistens erst retrospektiv, das heisst in der Erinnerung der bereits an posttraumatischer Belastungsreaktion leidenden Patienten erhoben werden können. Diese Tatsache ist möglicherweise für die Diskrepanz der Befunde verantwortlich.
Es ist noch nicht geklärt, warum manche Menschen eine Belastungsstörung entwickeln und andere nicht, aber die folgenden Faktoren könnten entscheidend dabei beteiligt sein: biologische Prozesse, die Persönlichkeit, Kindheitserfahrungen, das soziale Unterstützungssystem der Betroffenen und der Schweregrad des Traumas; diese Bedingungen können auch untereinander zusammenhängen (Comer, 2008, S. 157).

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