Humanistische Modelle

37 Einleitung: Humanistische Modelle

Die humanistische Psychologie entstand in den USA anfangs der 1960er Jahre, vor allem als Reaktion auf den damals in Amerika vorherrschenden Behaviorismus, aber auch als Abgrenzung gegenüber der Psychoanalyse. Sie wird deshalb oft als dritte Kraft neben den beiden erwähnten Richtungen bezeichnet und umfasst unterschiedliche Ansätze (Gröschke, 1992). Im Sinne des Humanismus und der Existenzphilosophie will die humanistische Psychologie den Menschen in seiner alltäglichen sozialen Wirklichkeit, als sinnorientierte Ganzheit mit dem Ziel der Selbstverwirklichung und Autonomie begreifen (Kriz, 2014).

Die Grafik zeigt die Bedürfnispyramide nach Maslow.
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Der Mensch besteht aus mehr als aus seinen organischen Prozessen, psychischen Konflikten, gelernten Verhaltensweisen und Kognitionen. Er verfügt über die Fähigkeit, sich mit komplexen und anspruchsvollen philosophischen Konzepten, wie z.B. Selbstbewusstsein, Werten, Sinn und Freiheit, auseinanderzusetzen und sie in sein Leben zu integrieren (Comer, 2008).

Humanistische und existenzialistische Theorien werden gewöhnlich zusammengefasst, weil sie beide die oben erwähnten umfassenderen Dimensionen des menschlichen Daseins betonen. Zugleich gibt es einige wichtige Unterschiede zwischen den beiden Gruppen:

Die humanistischen Theorien postulieren, dass die Menschen mit einer natürlichen Neigung zu Freundlichkeit, Kooperationsbereitschaft und Schöpfertum geboren werden und sich selbst verwirklichen möchten. Das gelingt ihnen, wenn sie ihre Schwächen genauso ehrlich würdigen und akzeptieren können wie ihre Stärken, und wenn sie ein befriedigendes persönliches Wertesystem entwickeln und danach leben können (Comer, 2008).

Von zentraler Bedeutung für die humanistische Psychologie ist das bewusste Erleben, die Ganzheit von Kognitionen, Motivationen und Emotionen der sich selbst und die Umwelt wahrnehmenden und erfahrenden Person. Der Mensch besitzt eine Tendenz zur Selbstverwirklichung, und wenn es ihm gelingt, gemäss dieser Tendenz zu handeln, führt sie ihn zu grösserer Autonomie, Selbsterfüllung und Sinnfindung (Nolting & Paulus, 2012).

Die existenzialistisch-humanistische Gruppe glaubt ebenfalls, dass Menschen sich ihrer selbst bewusst sein und ein subjektiv sinnvolles, authentisches Leben führen wollen. Selbstverwirklichung bedeutet die vom Individuum immer wieder zu leistende Aufgabe, in selbstbestimmten Lebensentwürfen dem Leben und der eigenen Existenz Sinn zu verleihen. So wird das Individuum zum Schöpfer seiner selbst und kreiert sich immer wieder neu (Nolting & Paulus, 2012). Diejenigen, die sich lieber vor Verantwortung und Entscheidungen «drücken», werden sich als hilflos und schwach wahrnehmen, was zu Sinnkrisen und existenziellem Schulderleben führt (Comer, 2008).

Begriffe und Richtungen

Humanistische Modelle umfassen viele Gruppierungen und Schulen: sowohl theoretische (psychologische, pädagogische) Theorien als auch psychotherapeutische Konzepte, daneben aber auch Konzepte und Selbsterfahrungsangebote aus dem Alltag, die als popularisierte Versatzstücke aus der Psychologie eher den Bereich der Esoterik abdecken (Straub, 2012). Alle diese Theorien und Schulen berufen sich auf Grundlagen und Vorläufer aus verschiedensten philosophischen Traditionen, von der Antike bis in die Neuzeit. Die Auswahl dieser Vorläufer ist vielfältig, heterogen und einigermassen beliebig, wie man unschwer durch eine Recherche im Internet feststellen kann.

Die humanistische Psychologie ist keine wohldefinierte psychologische Disziplin, sondern hat sich innerhalb und ausserhalb der akademischen Psychologie über ein halbes Jahrhundert bis heute auf unterschiedlichsten Wegen und eher chaotisch entwickelt (Kollbrunner, 2012). Aus der frühen Bewegung der humanistischen Psychologie entstand bald ein riesiger Markt aus allen möglichen psychologischen und esoterischen Angeboten, die von Therapierichtungen über Selbsterfahrungsangebote bis zu Scharlatanerie reichen (Kollbrunner, 2012).

Zentrale Impulse der frühen humanistischen Psychologie finden sich in humanistisch-psychologischen Therapien, wie der klientenzentrierten Psychotherapie(Gesprächspsychotherapie), der Gestalttherapie, der Bioenergetik, im Psychodrama und in der Transaktionsanalyse, in verschiedenen Körpertherapien und Familientherapien, ferner in der Pädagogik (z. B. die Themenzentrierte Interaktion, TZI), in der Organisationsentwicklung und in politischen Bewegungen (Friedens-, Feminimusbewegung und anderen). Alle diese Therapie- und Selbsterfahrungsmodelle beziehen sich zwar in mancherlei Beziehung auf die humanistische Psychologie, sind aber letzlich doch zu heterogen, um unter einem gemeinsamen Konzept zusammengefasst zu werden (Kollbrunner, 2012).

 

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