Biologische Modelle

70 Bio-psycho-soziale Modelle

Integration der Modelle

Die vorgestellten Modelle zur Erklärung des Verhaltens weichen inhaltlich stark voneinander ab. Sie machen unterschiedliche Annahmen, ziehen unterschiedliche Schlussfolgerungen und wenden unterschiedliche Behandlungen an. Doch haben die meisten Modelle geholfen, wichtige Aspekte bestimmter Verhaltensweisen verständlich zu machen.
Unser Verständnis des herausfordernden Verhaltens einer Person ist umfassender, wenn wir die biologischen, psychologischen und soziokulturellen Aspekte ihrer Schwierigkeiten einbeziehen, statt uns nur auf einen dieser Punkte zu beziehen. Bei psychischen Störungen werden deshalb sinnvollerweise mehrere beteiligte Faktoren angenommen. Solche Modelle werden als bio-psycho-sozial bezeichnet, weil sie annehmen, dass Störungen von der Interaktion genetischer, biologischer, entwicklungsmässiger, emotionaler, verhaltensmässiger, kognitiver, sozialer und gesellschaftsmässiger Einflüsse abhängen (Comer, 2008).

Wenn wir beispielsweise einen Fall von Depression untersuchen, dürften wir auf genetische Belastung und, damit zusammenhängend, auf eine Störung im Neurotransmitterhaushalt (biologischer Aspekt) als prädisponierende Faktoren stossen, auf einen einschneidenden Verlust als auslösenden Faktor und auf Denkfehler als aufrechterhaltenden Faktor (Comer, 2008).

Die verschiedenen Aspekte können sich auch wechselseitig beeinflussen und so zur Erklärung psychischer Störungen beitragen:

Angenommen ein Mann erbt die Tendenz, ängstlich und ungeschickt zu sein. Wegen seiner ängstlichen Art ist er vielleicht eher als andere Personen bereit, unangenehme Partner zu akzeptieren und damit das Risiko für belastende Beziehungen, Trennungen und der Isolation in seinem Leben zu erhöhen, was zu depressiver Verstimmung führen kann. Diese Belastungen setzen möglicherweise auch seine Serotoninaktivität herab, was ebenfalls zur Depression beiträgt. Auf diese Weise könnte eine Vielzahl relevanter Faktoren — indem sie aufeinander einwirken — eine Depression erzeugen (Comer, 2008).

Der bio-psycho-soziale Ansatz

Aufgrund des heute vorliegenden Wissens sind integrative Modelle am besten geeignet für die Beschreibung abweichenden Verhaltens. Sie ermöglichen es, durch die Berücksichtigung verschiedener Perspektiven die Störungen angemessen zu beschreiben und zu verstehen (Petermann et al., 2011).

Die wichtigsten integrativen Modellvorstellungen sind nach Petermann et al. (2011):

  • das bio-psycho-soziale Modell und
  • das Diathese-Stress-Modell (auch Vulnerabilitäts-Stress-Modell)
Die Grafik zeigt eine Darstellung der Aspekte des bio-psycho-sozialen Modells in drei überlappenden Kreisen.
(c) Petermann et al., 2011

Das bio-psycho-soziale Modell
Das bio-psycho-soziale Modell ist eine heute breit akzeptierte Sichtweise der Entstehungsweise psychischer Störungen (Petermann et al., 2011). Biologische, psychologische und soziale Faktoren bilden in einem dynamischen Wechselspiel den Hintergrund von Gesundheit oder Störungen.
Während die biologischen Aspekte im vorliegenden Lernmodul besprochen wurden, beziehen sich die psychologischen Faktoren auf die weiter oben besprochenen Modelle (Psychodynamik, Lerntheorien etc.).

Die sozialen oder Umweltfaktoren können weiter unterteilt werden (nach Petermann et al., 2011):

  • Interpersonelle Faktoren: familiäre oder berufliche Einflüsse, Einflüsse durch Gleichaltrige (peers).
  • Kulturabhängigkeit bzw. ethnische Zugehörigkeit, z.B. individualistische oder kollektivistische Wertorientierungen einer Gesellschaft.
  • Umweltfaktoren, wie Hunger, Krieg, Katastrophen oder sozialer Stress.
  • Soziale Faktoren im engeren Sinn: Soziale Ungleichheit, sozioökonomischer Status oder soziale Rollen.

Das Diathese-Stress-Modell oder Vulnerabilitäts-Stress-Modell ergänzt das bio-psycho-soziale Modell um dynamische Aspekte des Zeitverlaufs. Vulnerabilität beschreibt den Grad der Verletzlichkeit einer Person. Diathese beschreibt den Grad der Empfänglichkeit einer Person für eine bestimmte Störung.

Zum Diathese-Stress-Modell siehe Kapitel Lerntheoretische Verhaltenstherapie > Diathese-Stress-Modell.

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