Soziologische Modelle

58 Einleitung: Soziologische Modelle

Soziologie ist die Wissenschaft vom Zusammenleben der Menschen. Dabei geht es sowohl um das Zusammenleben zwischen einzelnen Individuen als auch um das Zusammenleben im Rahmen von Gruppen, Organisationen, Nationen usw. Die Soziologie befasst sich mit sozialen Strukturen und Prozessen, wie sie auf der Ebene der Gesamtgesellschaft ebenso wie in den einzelnen Teilbereichen der Gesellschaft, in den verschiedenen Schichten, Institutionen, Organisationen und Gruppen vorkommen. Hauptthemen sind die interne Differenzierung der Gesamtgesellschaft und die Vorgänge des sozialen Wandels. Zum Gegenstand der Soziologie gehören also nicht nur die Interaktionen zwischen Individuen, sondern auch die Interaktionen zwischen Kollektiven verschiedenster Art, sogar das Zusammenwirken ganzer Gesellschaften.
Die Soziologie untersucht gesellschaftliche Werte und Normen und die entsprechenden Prozesse der Sozialisation und sozialen Kontrolle. Sie analysiert Meinungen, Attitüden und Ideologien sowie deren Beziehungen zur sozialen Struktur, aber auch die Zusammenhänge von Struktur und Kultur. Die Soziologie ist eng verknüpft mit anderen Wissenschaften vom Menschen, so besonders mit der Psychologie, Sozialpsychologie, Sozialgeschichte, Ethnologie, den Publizistikwissenschaften sowie den Wirtschaftswissenschaften und der Politischen Wissenschaft. (Quelle: http://www.suz.uzh.ch/sozstudium/faq/faqallgemein/wasist.html).

Der Soziologe untersucht Vorgänge, die in breiteren gesellschaftlichen Zusammenhängen stehen (AG Soziologie, 2004). Das Verstehen und Erklären der Soziologie geht von einem Vorrang des Sozialen aus, d.h. individuelles Erleben, Denken und Handeln kann nur in den sozialen Lebenszusammenhängen betrachtet werden (Scherr, 2013a).

Wichtige Themenfelder der Soziologie sind z. B. die Sozialstrukturanalyse, die Migrationsforschung, die Soziologie des Arbeitsmarkts, die Familiensoziologie, die Lebenslaufforschung, die pädagogische und die politische Soziologie.

Soziologie als Wissenschaft

Die Gründerväter der Soziologie, Max Weber (1864-1920) und Emile Durkheim (1858-1917), haben auf die Frage, was die Soziologie als Wissenschaft auszeichnet, folgende Antworten gegeben (Gukenbiehl, 2010):

Fotografien Weber und Durkheim.
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Max Weber gibt in seiner «soziologischen Kategorienlehre», einem begriffsklärenden Vorspann zu seinem Werk «Wirtschaft und Gesellschaft» (2006), folgende Antwort: «Soziologie (im hier verstandenen Sinn dieses sehr vieldeutig gebrauchten Wortes) soll heissen: eine Wissenschaft, welche soziales Handeln deutend verstehen und dadurch in seinem Ablauf und in seinen Wirkungen ursächlich erklären will. Handeln soll dabei ein menschliches Verhalten (einerlei ob äusseres oder innerliches Tun, Unterlassen oder Dulden) heissen, wenn und insofern der oder die Handelnden mit ihm einen subjektiven Sinn verbinden. Soziales Handeln aber soll ein solches Handeln heissen, welches seinem von dem oder den Handelnden gemeinten Sinne nach auf das Verhalten anderer bezogen wird und daran in seinem Ablauf orientiert ist».
(Gukenbiehl, 2010, S.12)

Emile Durkheim antwortet in seinem Werk «Die Regeln der soziologischen Methode» (2007) auf diese Fragen: «Die Soziologie kann also definiert werden als die Wissenschaft von den Institutionen, deren Entstehung und Wirkungsart». Institutionen werden, wie ihre Elementarform der sozialen Norm, von Durkheim als soziale Tatbestände oder französisch: faits sociaux verstanden. «Ein soziologischer Tatbestand ist jede mehr oder weniger festgelegte Art des Handelns, die die Fähigkeit besitzt, auf den Einzelnen einen äusseren Zwang auszuüben; oder auch, die im Bereich einer gegebenen Gesellschaft allgemein auftritt, wobei sie ein von ihren indivuellen Äusserungen unabhängiges Eigenleben besitzt». (Gukenbiehl, 2010, S. 12)

Weber sieht die Soziologie als eine empirisch-rationale Sozialwissenschaft, ihr Gegenstand ist die erfahrbare soziale Wirklichkeit. In ihrem Vorgehen zur Erfassung dieser Wirklichkeit ist sie systematisch-methodisch und in ihren Erklärungsversuchen rational-logisch.
Für Durkheim hat die Soziologie eine paradigmatische Struktur. Forschung und Lehre werden von so genannten Paradigmen oder Theorieansätzen geleitet, die Grundannahmen darüber enthalten, was die soziale Wirklichkeit ausmacht (Gukenbiehl, 2010).

Grundannahmen über das Soziale
Obschon es unter den Soziologen viele verschieden Ansichten gibt, würden gemäss Gukenbiehl (2010) wohl die meisten den folgenden Grundannahmen über Mensch und Gesellschaft zustimmen (S. 16):

  1. Menschen leben nicht isoliert und allein, obwohl jeder Mensch seinen eigenen Körper und sein eigenes Bewusstsein besitzt, die dann zusammen seine jeweils eigene Person und Identität ausmachen. Aber bei seinem Leben und Überleben ist der einzelne Mensch von Anfang an auf ein Zusammenleben mit anderen angewiesen und durch dieses Zusammenleben grundlegend beeinflusst (Mensch als soziales Wesen und Person).
  2. Menschen schaffen in ihrem Zusammenleben eine zweite, eine kulturelle Welt. Dieses geistige und soziale Produkt von Menschen ist aber aus ihrer alltäglichen Sicht von Wirklichkeit aufs engste mit der sinnlich wahrnehmbaren materiellen Welt verflochten. Beides zusammen bildet für sie die Realität, ihre gesellschaftliche Umwelt also. Ein Leben in einer derart doppelt konstituierten Wirklichkeit ist den Menschen jedoch deshalb möglich, weil sie als Person sowohl mit einem Körper als auch mit einem Bewusstsein ausgestattet sind und daher an beiden Welten bzw. an der doppelt konstituierten Wirklichkeit des Alltags teilhaben können (materielle und gesellschaftliche Umwelt).

Herausforderndes Verhalten und soziologische Perspektive

Das Foto zeigt zwei kämpfende Knaben.
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Der Gegenstandsbereich der Soziologie umfasst auch die Untersuchung von abweichendem Verhalten und Konflikten in den verschiedensten Bereichen der Gesellschaft. Da das Verhalten von sozialen Einflüssen geformt wird, müssen wir den sozialen Kontext untersuchen, wenn wir gestörtes Verhalten einzelner Personen verstehen wollen. Diese Erklärungen konzentrieren sich auf die beteiligten Gruppen, ihre Strukturen und die Kommunikation, auf gesellschaftliche Belastungen und gesellschaftliche Etiketten und Reaktionen.

Abweichendes Verhalten wird im Kontext der Soziologie auch als Devianz bezeichnet und umfasst einen ganzen Katalog von Verhaltensweisen, die gegen die gesamtgesellschaftlichen Normen und Werte verstossen. Darunter fallen so verschiedene Phänomene wie Kriminalität, Suchtverhalten, psychische Krankheiten, Suizid, Homosexualität und Prostitution (Peuckert, 2010).

In den soziologischen Erklärungsansatz für abweichendes Verhalten fliessen Erkenntnisse des symbolischen Interaktionismus in Verbindung mit der Etikettierungstheorie und der Kommunikationspsychologie ein. Typisches Handeln und Verhalten, so auch eine Verhaltensauffälligkeit, resultiert grösstenteils aus Interaktionsprozessen, in denen vielfältige Situations- und Beziehungsdefinitionen eine Rolle spielen. Die aus den Interaktionen resultierenden Selbstdefinitionen gehen hauptsächlich auf bedeutende Bezugspersonen wie Eltern, Pädagoginnen und Pädagogen und andere zurück (Bumann & Wettstein, 2014).

Eine positive Selbstdefinition kann sich entwickeln, wenn sich Kinder angenommen fühlen, Grenzen gesetzt bekommen, diese auch einhalten, und wenn ihre individuellen Tendenzen in der Erziehung berücksichtigt werden. Scheitert die Entwicklung einer ausbalancierten, gesunden Identität, kann ein Mensch für die Interaktion bedeutsame Qualifikationen nicht entwickeln und Interaktion somit nicht im Sinn gesellschaftlicher Normen realisieren. Er entspricht dann nicht den Erwartungen und sein Verhalten wird in der Folge als abweichend definiert (Bumann & Wettstein, 2014).

Auf dieses erste abweichende Verhalten (primäre Devianz) erfolgt eine Reaktion durch die Umwelt. Das Individuum wird typisiert und stigmatisiert. Das Kind identifiziert sich mit dem ihm auferlegten Fremdbild und handelt danach, was als «sich selbst erfüllende Prophezeiung» bezeichnet wird. Diesen Erwartungen entsprechend können weitere Verhaltensabweichungen folgen, die wiederum die Typisierung und Stigmatisierung durch die Umgebung fördern. Diesen Ablauf beschreibt die Etikettierungstheorie (Labeling Approach). (Bumann & Wettstein, 2014).

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