Psychodynamische Modelle
10 Psychoanalyse und Heilpädagogik
Die Psychoanalytische Pädagogik wendet die Psychoanalyse auf den pädagogischen Alltag an. Unbewusste Prozesse beeinflussen alle pädagogischen Beziehungen; dem muss im pädagogischen Alltag Rechnung getragen werden. Die psychoanalytische Pädagogik setzt sich mit diesen innerpsychischen Prozessen, Beziehungen, Entwicklungen und Institutionalisierungen in den verschiedensten pädagogischen Praxisfeldern auseinander.
Geschichtliches
Schon 1908 hielt der Psychoanalytiker Sándor Ferenczi auf dem Ersten Internationalen Psychoanalytischen Kongress einen Vortrag mit dem Titel Psychoanalyse und Pädagogik. Zunächst befassten sich praktizierende Psychoanalytiker mit pädagogischen Fragestellungen; bald aber fanden Lehrer, Erzieher und andere Pädagogen ihren Weg zur Psychoanalyse in der Hoffnung, die pädagogische Praxis in Kindergarten, Schule, Sozialpädagogik u.a. durch die Psychoanalyse verbessern zu können.
In der Zeit des Zweiten Weltkriegs fand die Pionierzeit der psychoanalytischen Pädagogik ein jähes Ende, die meisten ihrer Protagonisten wurden vertrieben oder in Konzentrationslagern inhaftiert.
In den 1960er Jahren begannen Einzelpersonen und kleinere Gruppen, die psychoanalytische Pädagogik wieder zu entdecken. Wichtige Aufsätze aus der Zeitschrift für Psychoanalytische Pädagogik wurden neu publiziert. Das Interesse der 1968er-Generation an der Psychoanalyse wurde in dieser Zeit geweckt. Im Rahmen der antiautoritären Erziehung wurden klassische psychoanalytisch-pädagogische Autoren rezipiert, allerdings einseitig und selektiv, um gegen rigide und triebfeindliche Erziehungsstile zu argumentieren. In den 1980er Jahren kam es zu einer erneuten Beschäftigung mit der psychoanalytischen Pädagogik und zu einer systematischen Aufarbeitung der frühen psychoanalytisch-pädagogischen Positionen (nach Wikipedia).
Konzepte
Die psychoanalytische Pädagogik nutzt die Konzepte der klassischen Psychoanalyse wie die persönlichkeitstheoretischen Annahmen oder den Umgang mit Übertragung und Gegenübertragung und überträgt diese in einen pädagogischen Kontext.
Das szenische Verstehen etwa, ursprünglich eingeführt von Alfred Lorenzer, wurde von Aloys Leber und seinem Schüler Hans-Georg Trescher als pädagogisches Konzept weiterentwickelt und umgesetzt. Zielsetzung ist hier nicht mehr die Rekonstruktion und Durcharbeitung der verdrängten Szene, wie Lorenzer sie angelegt hatte, sondern eine Reflexion des Konflikts und eine direkte Förderung des Klienten. Leber führte das szenische Verstehen weiter als fördernden Dialog (siehe folgenden Abschnitt).
Literatur
- Figdor, Helmuth (2006). Wieviel Erziehung braucht der Mensch? In: Praxis der Psychoanalytischen Pädagogik II. Vorträge und Aufsätze. Giessen, Psychosozial-Verlag.
- Figdor, Helmuth (2007). Wieviel Erziehung braucht der Mensch? In: Praxis der Psychoanalytischen Pädagogik I. Vorträge und Aufsätze. Giessen, Psychosozial-Verlag.
- Gerspach, M. (2009). Psychoanalytische Heilpädagogik. Ein systematischer Überblick (Heil- und Sonderpädagogik). Stuttgart: Kohlhammer. > Darin Kapitel 4) und 5) zur psychoanalytischen Heilpädagogik.
Fördernder Dialog und Verantwortete Schuld
Fördernder Dialog
Der Fördernde Dialog setzt sich nach Aloys Leber aus den Komponenten Halten und Zumuten zusammen. Zwischen ihnen vollzieht sich ein dialektisches Wechselspiel, in dem der Psychoanalytiker wie jeder Helfer, der von einer entsprechenden Professionalität ausgeht, seinem Klienten in einem fördernden Dialog zubilligt, dass er ihn einmal überschätzt und ein andermal in seinen Absichten und Handlungen verkennt, je nachdem was er gerade mit ihm zu inszenieren trachtet und welche Rolle er ihm dabei zuschiebt. Er stellt sich auf die Übertragung ein, kann sich aber gleichzeitig davon innerlich distanzieren und über die wahrgenommene szenische Gestaltung wie über seine eigenen Gefühlsreaktionen nachdenken. […] Wir sehen heute die Professionalität des helfenden Partners gerade darin, daß er annehmen und dem Klienten auch zubilligen kann, als was dieser ihn zu sehen und zu vereinnahmen sucht, während er dabei selbst nicht eigene Befriedigung und Problementlastung in dieser professionellen Beziehung suchen muss (Leber, 1991, zit. nach Wikipedia).
Den Prozess des Haltens vergleicht Leber mit dem Dialog einer frühen Mutter-Kind-Beziehung, in der das Kind der Mutter seine Bedürftigkeit vermittelt und damit Reaktionen bei der Mutter auslöst, diesen Bedürfnissen nachzukommen.
Verantwortete Schuld
Das von Helmuth Figdor entwickelte Konzept bezeichnet eine bestimmte Haltung von Eltern und PädagogInnen, in unvermeidlichen Alltagskonflikten eine Frustration der kindlichen Alltagsbedürfnisse verantworten zu können, weil sie die Entwicklungsbedürfnisse des Kindes (sich geliebt und geborgen zu fühlen, respektiert zu werden u.v.m.) dennoch berücksichtigen und zu befriedigen trachten.
Dies erfordert ein geeignetes Verhalten in der Ausübung von Interventionen, damit die PädagogInnen auch in Konfliktsituationen mit dem Kind identifiziert bleiben und ihm Zuspruch und Trost oder Kompromiss- und Ersatzangebote bieten. Figdor hebt die Bedeutung der Befriedigung von Entwicklungsbedürfnissen der Kinder hervor, weil ihre Unterdrückung sich in Verdrängung und neurotischer Anpassung widerspiegelt, die sich später durch neurotische Symptome wie Lebensunzufriedenheit, Depression, sexuelle Störung oder Beziehungsprobleme und Affektlabilität wie z.B. Wutausbrüche, Selbstwertprobleme, Konfliktscheu, Lern- und Leistungshemmungen ausdrücken könnten (Figdor, 2007, S.54f, nach Wikipedia).
Literatur
- Leber, Aloys (1991). Zur Begründung des fördernden Dialogs in der Psychoanalytischen Pädagogik. In: Iben, Gerd: Das Dialogische in der Heilpädagogik. Mainz, Matthias-Grünewald-Verlag.
- Figdor, Helmuth (2006). Wieviel Erziehung braucht der Mensch? In: Praxis der Psychoanalytischen Pädagogik II. Vorträge und Aufsätze. Giessen, Psychosozial-Verlag.
- Figdor, Helmuth (2007). Wieviel Erziehung braucht der Mensch? In: Praxis der Psychoanalytischen Pädagogik I. Vorträge und Aufsätze. Giessen, Psychosozial-Verlag.