Biologische Modelle
69 Kritik der biologischen Modelle
Biologische Modelle abweichenden Verhaltens sehen sich wie alle bisher besprochenen Modelle auch kritischen Fragen ausgesetzt. Comer (2008) fasst diese Kritik mit den folgenden Worten zusammen:
Heute geniesst das biologische Modell im klinischen Bereich beträchtliches Ansehen, und Forschungsarbeiten zu den biologischen Grundlagen gestörten Erlebens und Verhaltens erbringen zunehmend schneller wertvolle neue Information. Die neuen Medikamente, die ständig weiterentwickelt werden, sind selbst zu wichtigen Forschungsinstrumenten geworden. Medikamentöse Therapien können bei schwerwiegenden psychischen Störungen wie der Schizophrenie beträchtliche Erfolge erzielen, nachdem andere Interventionen versagt haben. Zugleich aber hat das biologische Modell auch Nachteile. So ergibt sich für manche seiner Verfechter aus der Annahme, jedes menschliche Verhalten könne biologisch erklärt werden, dass alle Störungen medikamentös behandelt werden sollten. Diese engstirnige Sicht kann unser Verständnis psychischer Störungen eher behindern als fördern. Zwar beeinflussen biologische Prozesse mit Sicherheit unser Verhalten, Denken und Empfinden, doch genauso sicher wirkt der Einfluss umgekehrt. Wenn wir beispielsweise den Eindruck haben, die negativen Ereignisse in unserem Leben lägen ausserhalb unserer Kontrolle, geht wahrscheinlich die Noradrenalin- oder Serotoninaktivität in unserem Gehirn zurück und intensiviert so eine depressive Reaktion. Es ist anzunehmen, dass eine psychologische Behandlung, die die depressive Denkweise verändert, auch eine normalisierende biologische Wirkung hat. Nach der einschlägigen Forschung zu urteilen, hält sie auch länger an als die von Medikamenten. Es ist daher wichtig, das Zusammenspiel von psychologischen und biologischen Faktoren zu erforschen.
Letztlich sind Medikamente häufig nicht so spezifisch wirksam wie angenommen wird, sondern haben auch unerwünschte Nebenwirkungen. So können zum Beispiel antipsychotische Medikamente extrapyramidale Störungen erzeugen, Bewegungsstörungen wie Zittern, Grimassieren und extreme Unruhezustände. Die heilenden und schädigenden Wirkungen eines Medikaments müssen in jedem Fall gegeneinander abgewogen werden (Comer, 2008).