Sehbeeinträchtigung und Mehrfachbeeeinträchtigung
Schülerinnen und Schülern mit Sehbeeinträchtigungen und weiteren Behinderungen können über sehr unterschiedliche visuelle Funktionen verfügen. Einige Schülerinnen und Schüler mit recht hoher Sehschärfe können Schwierigkeiten mit einigen Sehaufgaben haben, während andere gesetzlich blind sein können, aber immer noch die Fähigkeit besitzen, in Schwarzschrift gedruckte Texte zu lesen, sich sicher durch in ihrer Umgebung zu bewegen sowie Menschen zu erkennen und Objekte zu identifizieren. Andere Schülerinnen oder Schüler haben möglicherweise überhaupt kein Sehvermögen oder eines, das auf die Wahrnehmung von Licht und Konturen beschränkt ist.
Bei Schülerinnen und Schüler mit mehrfachen Beeinträchtigungen, deren Lernbedürfnisse auditive und taktile Adaptionen von Lernmaterialien erfordern, wird eine Sehbeeinträchtigung häufig als „primäre“ Behinderung betrachtet. Für manche Schülerinnen und Schüler haben die weiteren Behinderungen allerdings einen größeren Einfluss auf das Lernen als die Sehbeeinträchtigung. Eine Sehbeeinträchtigung, die als „sekundäre“ Behinderung angesehen wird, kann jedoch immer noch eine wichtige Rolle beim Zugang zu Informationen spielen (Silberman et al., 2004). Die Feststellung, ob die Sehbeeinträchtigung die primäre Behinderung ist, kann schwierig sein. Deshalb müssen Fachpersonen und Familien die häufigsten Ursachen von Sehbeeinträchtigungen bei Schülerinnen und Schülern mit mehrfachen Behinderungen kennen, um zu verstehen, wie geeignete Förderprogramme am besten erstellt werden können.
Die drei Hauptursachen für Sehbeeinträchtigungen im Zusammenhang mit Mehrfachbehinderung sind in der Reihenfolge ihrer Prävalenz: Zerebrale Sehstörungen (CVI), Frühgeborenenretinopathie und Sehnervhypoplasie (Hatton, 2001; Hatton, Ivy & Boyer, 2013; Silberman et al., 2004):
- Eine zerebrale Sehbeeinträchtigung (cerebral visual impairment = CVI) ist das Ergebnis einer Schädigung des visuellen Kortex oder der hinteren Sehbahnen im Gehirn. CVI kann eine Reihe von Ursachen haben: Anoxie (Sauerstoffmangel) bei der Geburt, Infektion des zentralen Nervensystems, traumatische Kopfverletzung, Schlaganfall, Tumor, Optikusatrophie, Sehnervenhypoplasie und Anomalien der Netzhaut. CVI tritt häufig bei neurologischen Erkrankungen wie Zerebralparese, Epilepsie, Hydrocephalus und Lernbehinderungen auf. CVI hat normalerweise keinen Einfluss auf das Farbsehen. Das Sehvermögen einer Schülerin/ eines Schülers kann sich im Laufe der Zeit auch wieder verbessern (Roman-Lantzy, 2007). Bei Schülerinnen und Schüler, die CVI haben, können Schwankungen der visuellen Funktion auftreten. Insbesondere bei vielen visuellen Reizen kann es zu Einschränkungen kommen oder zu fehlenden Reaktionen auf visuelle Reize (Lueck & Dutton, 2015). Die Schülerin/ der Schüler wird es dann vorziehen Objekte durch Berührung zu erkunden. Wenn Schülerinnen und Schüler mit CVI die Objekte in die Nähe ihrer Augen bringen, dann tun sie dies auch, um störenden visuelle Informationen auszublenden. Dazu zeigen viele Kinder so genanntes „light gazing“. D.h., sie starren auf Lichtquellen. Für Schülerinnen und Schüler mit CVI werden kontrastreiche Materialien in vereinfachten Formaten empfohlen.
- Die Frühgeborenenretinopathie (Retinopathia praematurorum = ROP) wird durch ‚abnormales‘ Blutgefäßwachstum bei Frühgeborenen verursacht, das schließlich zu einer Netzhautablösung führen kann. Die Schädigung kann unterschiedlich stark ausfallen und eine leichte bis hochgradige Sehbehinderungen zur Folge haben. Schülerinnen und Schüler mit ROP können eine verminderte Sehschärfe, schwere Kurzsichtigkeit, Strabismus (= Schielen), peripheren Sehverlust, Nystagmus (=Augenzittern) und eine erhöhte Anfälligkeit für Netzhautablösung, Katarakte und Glaukom (=erhöhter Augeninnendruck) haben. Einige Schülerinnen und Schüler mit ROP können auch periventrikuläre Lukomalasia (eine Art Hirnverletzung) oder CVI haben. Eine Kombination aus auditiven, taktilen und visuellen Unterrichtsmodi wird für Schülerinnen und Schüler mit ROP empfohlen.
- Die Sehnervhypoplasie (Optic nerve hypoplasia = ONH) ist eine nicht fortschreitende angeborene Erkrankung, die zur Unterentwicklung oder zu fehlendem Sehnerv führt. Neurologische und endokrinologische Auffälligkeiten sind bei Schülerinnen und Schülern mit ONH häufig. ONH kann zu einer leichten bis schweren Sehbeeinträchtigung führen, mit einer erhöhten Inzidenz von Nystagmus (=Augenzittern) und einer Reihe von Gesichtsfelddefiziten (=Skotome). Einige Schülerinnen und Schüler können Verhaltensprobleme und kognitive Beeinträchtigungen aufweisen, die eine strukturierte Lernumgebung erfordern, in der die Schülerinnen und Schüler Änderungen in der Routine konsistent antizipieren können. Schülerinnen und Schüler, die ONH haben, können auch Probleme bei der Regulierung ihrer Körpertemperatur haben und können Wachstumshormone benötigen.
Abgesehen von diesen häufigsten Ursachen für Sehstörungen bei Schülerinnen und Schülern mit Mehrfachbehinderung kann eine Reihe anderer Augenerkrankungen zu Sehstörungen führen, einschließlich einfacher Refraktionsfehler, die mit einer Brille korrigiert werden können – wie Myopie (Kurzsichtigkeit), Hyperopie (Weitsichtigkeit) und Astigmatismus (ungleichmäßige Krümmung der Hornhaut) – sowie andere erbliche Augenerkrankungen. Schülerinnen und Schüler mit Mehrfachbehinderungen können auch eine Sehbeeinträchtigungen als Folge eines vererbten oder erworbenen Syndroms haben. Diese Schülerinnen und Schüler können bei der ersten Diagnose eine Sehbeeinträchtigung aufweisen oder auch nicht.
Andere Behinderungen, die das Lernen beeinträchtigen
Neben Sehbeeinträchtigungen können weitere Beeinträchtigungen das Lernen und die Entwicklung beeinflussen. Ein Verständnis für unterschiedliche Behinderungen ist erforderlich, um fundierte Entscheidungen in Bezug auf Leistungsbewertung, Schulsetting und Unterricht zu treffen. Nachfolgend werden einige Beeinträchtigungen vorgestellt, die häufig in Zusammenhang mit Sehbeeinträchtigungen auftreten.
Zusammenfassung