11 Verhaltensauffälligkeiten und Sehbeeinträchtigungen
Wenn Schülerinnen und Schüler mit Sehbeeinträchtigungen und Mehrfachbehinderungen nicht in der Lage sind, ihre Bedürfnisse zu kommunizieren oder nicht selbstständig handeln oder somit schwer Einfluss auf ihre Umgebung nehmen können oder es zu unerwarteten oder unerwünschten Veränderungen ihrer Routinen kommt, können sie anfällig für eine Reihe von Verhaltensauffälligkeiten sein, einschließlich verbaler Ausbrüche, Wutanfälle, impulsivem Verhalten, autistischem Verhalten, aggressivem oder übergriffigem Verhalten oder extremen Rückzug.
Manche Schülerinnen und Schüler mit Sehbeeinträchtigungen fühlen sich möglicherweise von unbekannten Personen oder Aktivitäten bedroht, die nicht im Voraus erklärt oder angekündigt werden. Schülerinnen und Schüler mit Sehbeeinträchtigungen und Mehrfachbehinderungen können auch stereotype Verhaltensweisen wie Oberkörperschaukeln, Kreisen (flicking), Hand- oder Fingerbewegungen oder Starren zeigen, um ihre Emotionen oder Gefühle zu regulieren oder ein neurologisches oder vestibuläres Gleichgewicht herzustellen.
Abhängig von der schwere oder Komplexität der zusätzlichen Behinderungen einer Schülerin/ eines Schülers kann die Fähigkeit der Schülerin/ des Schülers, das Verhalten zu regulieren, durch ihren/ seinen neurologischen Status beeinflusst werden. Manche Schülerinnen und Schüler haben ein chemisches Ungleichgewicht, das Medikamente erfordert, um bestimmte Verhaltensweisen oder Emotionen zu regulieren oder zu kontrollieren (Smith & Levack, 1999). Zum Beispiel können Schülerinnen und Schüler mit Depressionen einen unzureichenden Serotoninspiegel im Gehirn haben, und Schülerinnen und Schüler, die aggressives oder selbstverletzendes Verhalten zeigen, können einen erhöhten Dopaminspiegel haben (Smith & Levack, 1999).
Unabhängig von der Ursache ist es für die Pädagoginnen und Pädagogen sowie Familienmitglieder wichtig, zusammenzuarbeiten und eine Verhaltensbewertung durchzuführen, um festzustellen, wie man am besten mit der Schülerin/ dem Schüler mit einer Verhaltensstörung oder emotionalen Störung zusammenarbeitet. Mit der Verhaltensbewertung soll ein Verhaltens-Unterstützungsplan entwickelt werden, nachdem dann alle Teammitglieder vorgehen.
Verhaltensstörungen und emotionale Störungen werden oft an der Häufigkeit und Intensität des unerwünschten Verhaltens oder Verhaltensweisen gemessen. Aggressives und verletzendes Verhalten von Schülerinnen und Schüler mit Sehbeeinträchtigungen, die Mehrfachbeeinträchtigungen haben, können gegen sich selbst gerichtet sein (z.B. Kopfschlagen oder Augenstechen) oder gegen andere (z.B. Schlagen, Kneifen, Beißen oder Treten).
Das Verständnis des biobehavioralen Zustands einer Schülerin/ eines Schülers kann Fachleuten helfen, effektiver mit der Schülerin/ dem Schüler zu arbeiten. Der biobehavioralen Zustand einer Schülerin/ eines Schülers ist das Niveau der Erregung, das durch biologische Zustände wie Hunger, Müdigkeit, Wohlbefinden und Gesundheit beeinflusst werden kann. Emotionen, Motivation und Umweltereignisse können auch das Niveau der Kooperationsbereitschaft und Teilnahme einer Schülerin/ eines Schülers an Aktivitäten beeinflussen. Laut Smith und Levack (1999) ist das Verständnis, die Bewertung und die Veränderung von biobehavioralen Zuständen unerlässlich, um Schülerinnen und Schüler mit Sehbeeinträchtigungen und schweren Mehrfachbehinderungen gerecht zu werden. Smith und Shafer (1996) haben einen ausgezeichneten Bewertungsbogen zur Einschätzung des biobehavioralen Zustands entwickelt. Dieser ermöglicht es der Pädagogin/ dem Pädagogen, die Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme, Medikationsinformationen, Anfallsinformationen und den Zustand der Schülerin/ des Schülers zu dokumentieren (einschließlich Zeit, Position, spezifischer externer Stimulus, Umgebungsbedingungen, soziale Bedingungen und Grad der Wachsamkeit).
Autismus (ASS) und Sehbeeinträchtigungen
Schülerinnen und Schüler mit Sehbeeinträchtigungen können auch autistische Verhaltensweisen zeigen (atypischer Blick, eingeschränkter Augenkontakt, visuelle Vermeidung, Verwendung von seitlichem Blick zum Betrachten von Objekten und ineffizientes Verfolgen von sich bewegenden Objekten). Die Diagnose ist jedoch schwierig, weil die gezeigten Verhaltensweisen auch aufgrund der Sehbeeinträchtigung bedingt sein können. Umgekehrt zeigen Schülerinnen und Schüler mit Sehbeeinträchtigungen, bei denen eine Autismus-Spektrum-Störung diagnostiziert wird, atypische Merkmale in der Kommunikation, der sozialen Interaktion und den Reaktionen auf sensorische Informationen. Die Diagnose einer Autismus-Spektrum-Störung (ASS) wird in der Regel von einer auf Autismus spezialisieren Kinderärztin/ Kinderarzt oder einer Psychologin/ einem Psychologen gestellt.
Einige Studien haben einen starken Zusammenhang zwischen Autismus-Spektrum-Störung und den Ursachen einiger Sehbeeinträchtigungen belegt, einschließlich Sehnervenhypoplasie, Mikrophthalmie, Anophthalmie und periventrikuläre Lukomalasia (Fink & Borchert, 2011; Miller et al., 2004). Auch wenn bei einigen Schülerinnen und Schülern mit Sehbeeinträchtigungen und Mehrfachbehinderungen Autismus diagnostiziert werden kann, unterscheiden sich die Fähigkeiten und Fertigkeiten von Fall zu Fall. Auch hier ist es wichtig, dass eine Bewertung im Team stattfindet, um eine endgültige Diagnose einer Autismus-Spektrum-Störung zu stellen.
Nachfolgend werden einige Verhaltensweisen von Kindern und Jugendlichen mit Blindheit und Sehbeeinträchtigung denen von Kindern mit Sehbeeinträchtigung und Autismus gegenübergestellt. Die Kenntnis der Unterschiede im Verhalten zwischen diesen Gruppen kann Fachleuten helfen, geeignete Förderprogramme zu bestimmen:
Zusammenfassung