8 Körperlich-motorische Entwicklung und Sehbeeinträchtigungen
Das große Spektrum möglicher körperlicher Beeinträchtigungen macht es schwierig, sie zu kategorisieren. Im Allgemeinen sind körperliche Beeinträchtigungen struktureller oder neuronaler Natur oder das Ergebnis eines Schädel-Hirn-Traumas.
Viele Schülerinnen und Schüler mit körperlichen Behinderungen und Sehbeeinträchtigungen haben Zerebralparese (= Gruppe von Symptomen mit Bewegungsstörungen), welche die Muskelkoordination, die motorische Funktion der Gliedmaßen und die neurologische Funktion des Gehirns und des zentralen Nervensystems beeinträchtigt. Es kann durch Anoxie (Sauerstoffmangel im Gehirn), Geburtstrauma oder abweichende Entwicklung des Gehirns oder des Neuralrohrs (= Vorläuferstruktur des Nervensystems) verursacht werden. Bei Kindern mit Zerebralparese treten häufig auch visuelle Problemem wie Schielen, herabhängende Augenlieder, Schwierigkeiten in der visuomotirischen Koordination und mehr vor.
Ein Jungen mit Zerebralparese und zusätzlichem Förderbedarf im Bereich Sehen
Andere körperliche Behinderungen, die Schülerinnen und Schüler mit Sehbeeinträchtigungen haben können, sind Muskeldystrophie, Spina bifida (= offener Rücken) und körperliche Behinderungen infolge eines Schlaganfalls. Diese Schülerinnen und Schüler benötigen ebenfalls die Unterstützung von SHP mit dem Schwerpunkt Sehbeeinträchtigung sowie Unterstützung von Fachpersonen aus dem Bereich Logopädie, Ergotherapie, Physiotherapie und Physiomotorik sowie SHPs anderen Disziplinen.
Fachleute, die mit Schülerinnen und Schülern mit Sehbeeinträchtigungen und körperlichen Behinderungen arbeiten, sollten Geräte zur Unterstützung unabhängiger Bewegungen (Gehen, Sitzen und Stehen) und Geräten zum Essen kennen. Außerdem müssen Fachkräfte darin geschult werden, wie sie Schülerinnen und Schüler mit körperlichen Behinderungen am besten positionieren und mit ihnen umgehen.
Viele Schülerinnen und Schüler mit Sehbeeinträchtigungen und Mehrfachbehinderungen können auch Anfälle erfahren. Anfälle sind plötzliche Veränderungen des Verhaltens, der motorischen Funktion oder der Empfindung, die durch elektrochemische Veränderungen im Gehirn verursacht werden (Freeman, Vining, & Pillas, 2003). Anfallsleiden können durch unzureichenden Sauerstoffgehalt, niedrige Blutzuckerwerte, toxische Substanzen, sehr hohes Fieber, Tumore und traumatische Vorfälle verursacht werden, die Gehirnblutungen verursachen. Epilepsie ist ein Zustand, bei dem Anfälle in der Regel wiederholt und spontan im Laufe der Zeit auftreten. Anfälle werden nicht durch eine andere Erkrankung verursacht. Schülerinnen und Schüler mit Anfallsleiden weisen oft kognitive Beeinträchtigungen auf. Schülerinnen und Schüler, die schwerere Mehrfachbehinderungen haben, neigen zudem zu Anfallsstörungen (Freeman et al., 2003).
Die Tabelle bietet eine Beschreibungen der Arten von Anfallsleiden sowie Erste-Hilfe-Anleitungen zum Umgang mit Schülerinnen und Schülern während und nach einem Anfall (Thuppal & Sobsey, 2004). Pädagoginnen und Pädagogen sollten bei einem Anfall die nötigen Vorkehrungen treffen können.
Anfälle nach Symptomen kategorisieren
Anfälle unterscheiden sich in der Schwere und den Symptomen. In der nachfolgenden Auzählungen werden die häufigsten Formen von Anfällen unterschieden:
- Partiell einsetzende Anfälle: Das Kind bleibt bewusst. Einzelpersonen können sich wiederholt oder stereotyp verhalten. Dauert in der Regel einige Sekunden bis einige Minuten öfters. Kann öfters an starkem Augenblinzeln beobachtet werden.
- Komplexer partieller Anfall (frühe Temporallappenepilepsie genannt): Das Bewusstsein ist beeinträchtigt. Aura oder Prodrom sind üblich. Häufig erknnbar an: Starren, Automatismen (wie Kauen, Lippenschmatzen, Murmeln oder Herumwedeln mit den Händen) und Posieren (Drehen zur Seite oder ungewöhnliche Position eines Arms). Dauert in der Regel etwa 60-90 Sekunden und eine anschließende kurze Periode der Verwirrung
- Abwesenheitsanfälle (früher Petit Mal Anfall genannt): Beeinträchtigung des Bewusstseins, die in der Regel 2-20 Sekunden dauert.
- Tonische Anfälle (= Versteifung/ Verkrampfung): Häufig gibt es einen plötzlichen Beginn. Kennzeichen von generalisierenden Anfällen sind starre Verlängerung oder Beugung des Kopfes, des Rumpfes und/oder der Extremitäten. Dauert in der Regel mehrere Sekunden, gelegentlich länger.
- Klonische Anfälle (krampfhafte Anfälle): Rhythmische, motorische, ruckartige Bewegungen von Armen, Beinen und Körper. Dauert in der Regel länger als ein paar Sekunden.
- Myklonischer Anfall: Eine Beeinträchtigung des Bewusstseins kann aufgrund der Kürze schwer zu identifizieren sein. Ruckelnde, motorische Bewegungen, die weniger als eine Sekunde dauern.
- Primärer generalisierter tonisch-klonischer Anfall: Beeinträchtigung des Bewusstseins. Generalisierte tonische Ausdehnung der Extremitäten, die einige Sekunden dauert. Klonische, rhythmische Bewegungen können von 10 Sekunden bis zu mehreren Minuten dauern.
- Atonischer Anfall: Beeinträchtigung des Bewusstseins. Ein kurzer Verlust des Haltungstonus führt oft zu Stürzen und manchmal zu Verletzungen.
Erste Hilfe Massnahmen bei Anfällen
- Entfernen Sie Gefahrenquellen aus der Umgebung des Kindes.
- Beaufsichtigen Sie das Kind, bis es vollständig bei Bewusstsein ist.
- Schauen Sie genau auf die Uhr, wie lange der Anfall dauert. Diese Information ist wichtig für Mediziner.
- Bei schweren Anfällen können Sie empfindliche Körperteile durch Polster schützen.
- Lassen sie das Kind nach einem Anfall sich ausruhen.
- Untersuchen Sie das Kind nach dem Anfall auf Verletzungen.
- Bringen Sie das Kind nach dem Anfall in die stabile Seitenlage (falls erforderlich).
Folgende Dinge sollten Sie nicht tun:
- Das Kind festhalten oder bewegen.
- Dem Kind nähern, außer es ist unbedingt notwendig.
- Lebensmittel oder Flüssigkeiten einflößen, bevor das Kind vollständig bei Bewusstsein ist.
Schädel-Hirn-Trauma (SHT)
Es ist nicht ungewöhnlich, dass SHP mit dem Schwerpunkt auf Sehbeeinträchtigung und O&M-Spezialisten (O&M = Orientierung und Mobilität) mit Schülerinnen und Schülern arbeiten, die Schädel-Hirn-Trauma (manchmal abgekürzt SHT) erlitten haben. Traumatische Hirnverletzungen sind das Ergebnis jeder Verletzung des Gehirns als Folge von Ereignissen wie schweren Schlägen auf den Kopf, Hirntumoren, Hirnblutungen und Schlaganfällen. Schülerinnen und Schüler, die ein Schädel-Hirn-Trauma erlebt haben, können verschwommen oder doppelt sehen, Gesichtsfeldausfälle und fehlendes binokulares Sehen haben. Wenn kurz nach der Geburt eine traumatische Hirnverletzung aufgetreten ist, verschwinden verschwommenes und doppeltes Sehen normalerweise. Wenn die Verletzung später in der Kindheit auftritt, können diese Defizite bestehen bleiben. Schülerinnen und Schüler mit SHT können eine Vielzahl von visuellen Wahrnehmungsschwierigkeiten haben. Abhängig von der Art der Verletzung können einige Schülerinnen und Schüler einen Hörverlust oder ein auditives Verarbeitungsproblem aufweisen. Einige Schülerinnen und Schüler sind leicht frustriert, wenn zu viele visuelle oder auditive Information präsentiert werden. Die folgenden Merkmale sind bei Schülerinnen und Schülern mit SHT üblich:
Folgende visuelle Probleme finden sich häufig bei Kindern mit körperlich-motorischen Beeinträchtigungen
- Schwierigkeiten mit der binokularen Funktion (Strabismus = Schielen, okulomotorische Dysfunktion (=Augenbewegungen), Konvergenz und Anomalien bei der Akkommodation)
- Schwierigkeiten bei der Akkommodation (= Nahsehen)
- Seltenes Blinzeln
- Unfähigkeit, räumliche Beziehungen zwischen Objekten wahrzunehmen (räumliche Disorganisation)
- schlechte Fixierung und visuelles Verfolgen von Bewegungen und Objekten
- Zwangshaltung (oft zur Anpassung an eine Sehbeeinträchtigung)
- Doppelbilder
- Ungeschicklichkeit
- statische Objekte scheinen sich zu bewegen
- Konzentrations- und Aufmerksamkeitsschwäche
- schlechtes visuelles Gedächtnis
- Unfähigkeit, ein ganzes Bild wahrzunehmen oder seine Einzelteile zu einem Ganzen zusammenzusetzen (Simultanagnosie)
- Leseunfähigkeit trotz Schreibfähigkeit (Elexia ohne Agraphie)
- Nichtbeachtung von Objekten in der betroffenen Hemisphäre (visuelle Vernachlässigung)
- Unfähigkeit, visuell dargestellte Objekte zu erkennen (visuelle Agnosie)
- Unfähigkeit, Farben zu unterscheiden (Achromatopsie)
- Unfähigkeit, Gliedmaßen visuell zu führen (optische Ataxie)
Zusammenfassung