9 Kognitive Beeinträchtigungen und Sehbeeinträchtigungen
Schülerinnen und Schüler mit kognitiven Beeinträchtigugen haben oftmls unterschiedliche Entwicklungsverzögerungen in den kognitiven-, sozialen-, kommunikativen- und motorischen- Fähigkeiten. Damit einher gehen viele Einschränkungen und Barrieren, weshalb sie oftmals langsamer lernen. Lerende mit kognitiver Beeinträchtigung und Entwicklungsverzögerungen können Schwierigkeiten bei der Verallgemeinerung und beim Übertragen von Fähigkeiten zeigen. Oft haben Schülerinnen und Schüler mit Sehbeeinträchtigungen, die schwere Entwicklungsverzögerungen haben, auch zusätzliche Behinderungen. An den Schweizer Blinden- und Sehbehindertenschulen spricht man in diesem Zusammenhang häufig von Sehen Plus. An den grösseren Blinden- und Sehbehindertenschulen (z.B. in Zollikhofen oder Sonnenberg/Baar) gibt es eigene Abteilungen, die sich spezialisiert haben, auf den Unterricht und die Förderung von Kindern mit Mehrfachbeeinträchtigung unter Einbezug blinden- und sehbehindertenspezifischer Aspekte (z.B. Lebenspraktische Fähigkeiten, Low Vision, Orientierung und Mobilität).
Vorschläge und Interventionen für Schülerinnen und Schüler im Bereich Sehen Plus
Die folgenden Vorschläge umfassen Möglichkeiten, den Lernbedürfnisse von Schülerinnen und Schülern mit Sehbeeinträchtigung und kognitiven Einschränkungen im Unterricht gerecht zu werden:
Räumliche Organisation
- Reduzieren Sie Unordnung.
- Vergrößern Sie den Abstand.
- Fügen Sie Umgebungshinweise hinzu (z. B. Konturen, um die Platzierung von Objekten anzuzeigen, Farbkontrast und Lichtverstärkung, um die Aufmerksamkeit auf bestimmte Orte zu lenken).
- Verwenden Sie eine Büroklammer oder einen Radiergummi, um eine Stelle auf der Seite zu markieren.
- Legen Sie eine Vorgehensweise für Aufgaben fest und stellen Sie sicher, dass sie jeden Tag auf die gleiche Weise strukturiert wird.
- Platzieren Sie ein Lineal unter der Textzeile, die die Schülerin/ der Schüler liest.
- Schneiden Sie ein Fenster in ein Blatt Papier, das von Wort zu Wort, von Zeile zu Zeile oder von Bild zu Bild verschoben werden kann.
Kommunikation
- Halten Sie die Anweisungen kurz und konkret.
- Bitten Sie die Schülerinnen und Schüler, Anweisungen zu wiederholen, um das Verständnis zu sichern.
- Bringen Sie den Schülerinnen und Schülern bei, Wiederholungen anzufordern, wenn ihnen die Anweisungen nicht klar sind.
- Minimieren Sie die Verwendung von Redewendungen oder bildlicher Sprache in der Kommunikation.
- Bringen Sie den Schülerinnen und Schüler häufig vorkommende Redewendungen oder bildliche Sprache bei.
Neue Informationen
- Verknüpfen Sie neue Informationen mit zuvor erlernten Konzepten.
- Betonen Sie die Relevanz neuer Informationen für bestimmte Interessen oder Ereignisse.
- Ermutigen Sie die Schülerinnen und Schüler, neue Informationen zu wiederholen.
- Ermöglichen Sie den Schülerinnen und Schülern, die Anwendung neuer Informationen zu üben, indem sie diese einer anderen Schülerin/ einem anderen Schüler erklären.
- Strukturieren Sie neues Lernen sorgfältig, damit die Schülerinnen und Schüler nichts Falsches gelernt wird
- Korrigieren Sie Fehler frühzeitig
Räumliche Orientierung
- Legen Sie bestimmte Bereiche für die Durchführung von Aktivitäten fest.
- Verwenden Sie Hinweise und Materialien, um bestimmte Bereiche zu markieren.
- Strukturieren Sie diese Hinweise und Materialien, damit die Schülerinnen und Schüler selbstständig arbeiten können.
Aufmerksamkeit und Konzentration
- Minimieren Sie die Ablenkung durch die Umgebung durch sorgfältige Platzierung im Klassenzimmer.
- Verzichten Sie auf unnötige auditive Distraktionen, wie z.B. übermäßiges Sprechen.
- Bauen Sie regelmäßige Pausen in Ihre Unterrichtszeit ein.
- Schaffen Sie Möglichkeiten für körperliche Bewegung.
- Fokussieren Sie auf das positive Verhalten, wenn das Kind aufmerksam ist, statt das Kind zu bestrafen, wenn es unaufmerksam ist.
- Teilen Sie Aufgaben in kleine Sequenzen auf, die eine Schülerin/ ein Schüler in kürzeren Zeitabschnitten abschließen kann.
Aufgabenbearbeitung
- Nutzen Sie Systeme wie Notizbücher und Kalender, mit denen die Schülerinnen und Schüler ihre Arbeit selbst überwachen können.
- Entwickeln Sie einen nonverbalen Hinweis, der einvernehmlich vereinbart wird, um zu signalisieren, dass die Schülerinnen und Schüler von der Aufgabe abgekommen sind, und die Konzentration wieder auf die aktuelle Aufgabe zu lenken.
- Bieten Sie den Schülerinnen und Schülern eine Möglichkeit, anzugeben, dass Hilfe benötigt wird.
- Schließen Sie jede Lektion mit einer Runde über die Dinge, die gelernt wurden ab.
- Unterstützen Sie die Schülerinnen und Schüler dabei, unabgeschlossene Aktivitäten oder Aufgaben in ihren Kalender oder ihre Notizbücher zu übertragen, damit sie diese am nächsten Tag selbstständig beginnen können.
- Stellen Sie Materialien zur Verfügung, um abgeschlossene Aufgabe abzulegen, z. B. eine Box, in welche die Schülerin/ der Schüler fertige Aufgaben legen kann.
Impulssteuerung
- Sorgen Sie für eine angemessene Struktur im Klassenzimmer und machen Sie die Regeln für alle sichtbar und zugänglich.
- Die Schülerin/ der Schüler soll selbst mitentscheiden, wie Sie rückmelden, dass sie/ er gerade sich Anzeichen für mangelnde Impulskontrolle zeigen.
- Sehen Sie mangelnde Impulskontrolle nicht einfach als Verhaltensproblem an.
- Konzentrieren Sie sich darauf, den Schülerinnen und Schülern beizubringen, zu erkennen, wann Vorfälle von Impulskontrolle wahrscheinlich auftreten und helfen Sie den Schülerinnen und Schülern, angemessene Bewältigungsstrategien zu entwickeln.
Umgang mit Wut
- Seien sie sensibel für Anzeichen von Frustration, die wahrscheinlich zu einem Ausbruch führt.
- Wenn möglich, lenken Sie die Schülerin/ den Schüler von der frustrierenden Aufgabe zu einer weniger schwierigen.
- Wenn die Schülerin/ der Schüler zunehmend frustrierter wird, machen Sie Angebote einer körperlichen Aktivität, damit sich die Wut abbauen kann (z. B. Aktivität in der Sporthalle, einen Spaziergang, Papier schreddern).
- Vermeiden Sie es, die Gründe für die Wut oder alternative Verhaltensweisen zu diskutieren, während die Schülerin/ der Schüler noch verärgert ist oder unmittelbar danach.
- Machen Sie sich nicht über die Schülerin/ den Schüler lustig, wenn sie/ er mit Wut auf einen relativ trivialen Vorfall reagiert. Frustration und Müdigkeit sind oft die Auslöser für die Reaktion und nicht die Bedeutung des Vorfalls.
Kognitive Herausforderungen können durch eine Vielzahl von Umständen verursacht werden, darunter genetische Anomalien, bei Früh- oder Spätgeburt, das Vorhandensein von Teratogenen, schlechte Gesundheit der Mutter, Viren, die durch den Geburtsprozess erworben wurden, und traumatische Verletzungen während oder nach der Geburt. Schülerinnen und Schüler mit Sehbeeinträchtigungen und Entwicklungsverzögerungen benötigen oft ein Bildungsprogramm, das sich nach den individuellen Potenzial richtet, anstatt nach der Normentwicklung. Bildungsprogramme für diese Schülerinnen und Schüler sind am besten, wenn sie einen hohen Teil an praktischen Lernerfahrungen in alltäglichen Kontexten und lebensweltbezogene Lernerfahrungen fördern. Pädagoginnen und Pädagogen, die mit Schülerinnen und Schüler mit kognitiven Beeinträchtigungen und Sehbeeinträchtigungen arbeiten, sollten reflektieren, wie sie diese Schülerinnen und Schülern unterrichten.
Dabei sollten sich Fachpersonen die Fragen stellen:
- Ist das Angebot erlernbar? Also verfügt das Kind über die entsprechenden Voraussetzungen?
- Ist das Angebot anwendbar? D.h., kann sich das Kind aktiv beteiligen?
- Und ist es befähigend? Damit ist gemeint, ob das Lernangebot an vorhandene Potenziale anknüpft?
In diesem Zusammenhang lohnt sich auch ein Blick in die „Anwendung des Lehrplans 21“ für Schülerinnen und Schüler mit komplexen Behinderungen.
Speziell bei Kindern- und Jugendlichen mit einer zusätzlichen Sehbeeinträchtigung sollte zudem Bedacht werden, dass auditive und taktile Hinweise effektiver sein können als Bilder oder Gesten. Auch das Erkennen des biobehavioralen Zustands (= das Zusammenspiel von Verhalten und biologischen Prozessen) jeder Schülerin/ jedes Schülers ist wichtig, um die momentane Aufnahmefähigkeit für Unterrichtsinhalte einzuschätzen.