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5 Okulomotorik (ICF-CY b2152)

Die Überprüfung der verschiedenen okulomotorischen Funktionen ist für das Sehen im Alltag von hoher Bedeutung, da Beeinträchtigungen zu Problemen, z. B. beim Lesen und Lesenlernen, führen können. Störungen der Okulomotorik können die Qualität der visuellen Wahrnehmung nachhaltig beeinträchtigen, da die Beweglichkeit der Augen und die Steuerung der Blickmotorik Voraussetzungen sind, um Objekte präzise zu fixieren, zu verfolgen und Suchbewegungen auszuführen (vgl. Zihl, Priglinger 2002, 19).

Fixation

Unter Fixation wird die Fähigkeit verstanden, den Blick auf einen Gegenstand zu richten und diesen so „im Auge“ zu behalten, dass sein Bild beim unbeeinträchtigten Auge auf die Makula (Stelle des schärfsten Sehens) fällt. „Eine Fixation markiert den Endpunkt einer Sakkade und erlaubt die Aufnahme detaillierter Informationen über Objekte“ (Zihl et al. 2012, 33). Wenn Menschen exzentrisch fixieren, weil die Makula nicht funktionsfähig ist, benutzen sie dafür meist eine Stelle, die möglichst nahe an der Makula liegt (diese Stelle nennt man auch „Preferred Retinal Locus“ oder ,,PRL‘), da die Auflösung der Netzhaut in der Nähe der Makula besser ist als in der Netzhautperipherie und somit die Sehschärfe abnimmt, je weiter der Fixationsort von der Makula entfernt ist. Es wirkt, als schauten diese Personen direkt neben ein Objekt, um es erkennen zu können. Bei exzentrischer Fixation ist die Sehschärfe immer herabgesetzt, da nur bei einer Fixation mit der Makula die bestmögliche Sehschärfe erreicht wird. Die Sehschärfe ist auch bei Normalsehenden nur im Zentrum (der Fovea) des Gesichtsfeldes gut, sie nimmt zur Peripherie hin kontinuierlich ab und beträgt am Rand nur noch 0.1. Fixation kann anhand der folgenden Kriterien beschrieben werden: zentral, exzentrisch, stabil, unstabil, fehlend (Hyvärinen, Jacob 2011).

Mit leuchtenden und interessanten Objekten kann das Kind in der Früherziehung zum Sehen und Fixieren animiert werden.

Sakkaden

Als Sakkaden (Blickzielbewegungen) bezeichnet man schnelle, sprunghafte Blickbewegungen von einem Fixationspunkt zum nächsten, bei denen sich das Auge auf ein Objekt richtet, aber noch keine Informationsaufnahme stattfindet. Sie dienen dazu, den zentralen Bereich der Fovea auf Sehziele auszurichten. Sakkaden sind nicht nur beim Lesen notwendig, um kleine Fixationssprünge auszuführen, sondern werden im Alltag unbewusst als spontane Blickbewegungen in verschiedene Richtungen eingesetzt, um Details eines Ganzen (z. B. eines Gesichts) zu erkennen (vgl. Hyvärinen, Jacob 2011, 8). Die Umgebung wird mit bewussten und unbewussten Blicksprüngen abgetastet und die so aufgenommenen Einzelbilder werden im Gehirn zu einem Gesamteindruck zusammengesetzt.

Um bewusst ausgeführte Sakkaden zu überprüfen, können entweder zwei kleine Objekte, zwei Bilder mit eindeutigen Details, zwei Buchstaben oder zwei Zahlen als Zielobjekte verwendet werden und das Kind wird aufgefordert, diese Objekte im Wechsel mehrfach zu fixieren, um den Blickwechsel von einem Objekt zum anderen zu beobachten (vgl. Hyvärinen, Jacob 2011, 8). Sakkaden können anhand der folgenden Kriterien beschrieben werden: genau, schnell/ langsam, unregelmäßig, fehlend (Hyvärinen, Jacob 2011, 5).

 

Mit der Eye-Tracking Untersuchungsmethode lassen sich die Lesebewegungen der Augen aufzeichnen. Jeder Punkt steht dabei für eine Fixation. Umso grösser der Punkt, desto länger die Fixationszeit. Zwischen den Punkten liegen wiederum die Sakkaden auch Blicksprünge genannt. Diese raschen unwillkürlichen Augenbewegungen sind eine wichtige Voraussetzung beim Lesen.

Folgebewegungen

Als visuelle Folgebewegung wird die Fähigkeit bezeichnet, ein bewegtes Objekt zu fixieren und zu verfolgen. Folgebewegungen ermöglichen das Verarbeiten von Informationen über ein Objekt, während sich dieses bewegt. Voraussetzung ist eine ausreichend lange und präzise Fixation (vgl. Zihl, Priglinger 2002, 48). Für die Steuerung der Blickmotorik sind Strukturen im Zentralnervensystem verantwortlich, die die Augenbewegungen über die sechs Muskeln der Augen initiieren und kontrollieren. Im Normalfall sollten beide Augen in der Lage sein, während horizontaler, vertikaler und diagonaler Bewegungen auf ein Objekt gerichtet zu bleiben.

Viele Kinder und Jugendliche mit Beeinträchtigungen der körperlich-motorischen Entwicklung haben Schwierigkeiten, ihre Augen- und Kopfbewegungen zu kontrollieren und können keine schnellen visuellen Folgebewegungen ausführen. Schwierigkeiten können aber auch auf ein eingeschränktes Gesichtsfeld zurückzuführen sein. So kann der Grund für fehlende oder ruckartige Folgebewegungen zu einer Seite des Gesichtsfeldes z. B. ein halbseitiger Gesichtsfeldausfall oder auch ein Neglect (Nicht-Beachtung einer Körperseite) sein. Wenn ein Kind bei Folgebewegungen die Fixation verliert, kann dies auch ein Hinweis auf zentrale Skotome sein, „in diesem Fall finden sich mehr oder weniger regelmäßige Sprünge in Richtung des Reizes, gelegentlich auch Rückstellsakkaden“ (Zihl et al. 2012, 134). Folgebewegungen können anhand der folgenden Kriterien beschrieben werden: gleichmäßig, sakkadiert, fehlend, ungenau bzw. kompensatorische Kopfbewegungen (Hyvärinen, Jacob 2011, 5).

Akkommodation

Unter Akkommodation versteht man die Anpassung der Augenlinse durch den Ziliarmuskel, um das fixierte Objekt in der bestmöglichen Bildqualität auf der Retina abzubilden. „Die Linse ist ein Teil des optischen Apparats des Auges. Aufgrund ihrer Eigenelastizität kann sie ihre Wölbung und somit ihre Brechkraft verändern, so dass das Auge Gegenstände in Nähe und Ferne scharf abbilden kann“ (Grehn 2006, 158).

Die Akkommodationsfähigkeit des Auges nimmt vom elften Lebensjahr an langsam ab (vgl. Kap.2). Während Kinder in der Regel gut akkommodieren können, haben Kinder mit Sehbeeinträchtigungen häufig Akkommodationsprobleme, so dass beim Sehen in der Nähe unscharfe Netzhautbilder entstehen. In der Schule ist die Schrift zu Beginn noch relativ groß und wird später zunehmend kleiner. Mit diesen steigenden visuellen Anforderungen kann dies bei Kindern mit Beeinträchtigungen des Sehens und Akkommodationsproblemen dazu führen, dass der Leselernprozess erschwert wird.

Probleme mit der Akkommodation können von Geburt oder einem späteren Zeitpunkt im Leben an bestehen und unterschiedliche Ursachen haben. Eine eingeschränkte Akkommodationsfähigkeit tritt vor allem bei Menschen mit Nervus Oculomotoris-Parese und Zerebralparesen auf, aber auch wenn eine Katarakt oder eine Hypotonie vorliegt, z. B. bei Kindern mit Trisomie 21 (Flom 2004; Hyvärinen, Jacob 2011).

Abhängigkeit der Akkommodationsfähigket vom Lebensalter: Verlust der Akkommodationsbreite mit zunehmendem Lebensalter

Einige Kinder und Jugendliche können in einem bestimmten (nahen) Abstand zwar über eine kurze Zeit gut akkommodieren, Schwierigkeiten treten aber dann auf, wenn sie dies über einen längeren Zeitraum aufrechterhalten müssen. Eine Akkommodationsschwäche kann durch eine Brille für die Nähe (Addition, Plusbrille, Nahbrille oder Lesebrille) ausgeglichen werden. Eine eingeschränkte Akkommodationsfähigkeit ist zu vermuten, wenn ein Mensch den Blickkontakt in der Nähe meidet, sich bei Tätigkeiten in der Nähe ungeschickt verhält oder über verschwommenes Sehen in der Nähe klagt. Eine fehlende Verengung der Pupille, wenn Gegenstände dicht vor den Augen bewegt werden, kann auch ein Hinweis auf eine eingeschränkte Akkommodationsfähigkeit sein.

Die Akkommodationsfähigkeit kann gemessen werden, indem man den Akkommodationsnahpunkt ermittelt, aber auch der Vergleich der Sehschärfe in der Ferne mit der Sehschärfe in der Nähe kann Hinweise auf Schwierigkeiten mit der Akkommodation ergeben: Wenn der Nahvisus deutlich unter dem Fernvisus liegt, könnte eine Akkommodationsschwäche vorliegen. Verbessert sich der Nahvisus mit einer zusätzlichen Addition, ist dies ein weiterer Hinweis auf das Vorliegen einer Akkommodationsschwäche.

Die Akkommodationsfähigkeit kann anhand der folgenden Kriterien beschrieben werden: normal, unzureichend, nicht vorhanden, spastisch, tonisch (Hyvärinen, Jacob 2011, 5).

Konvergenz und Divergenz

Vergenzbewegungen sind Augenbewegungen, die von beiden Augen gleichzeitig und gegensinnig (d. h. beide Augen drehen nach innen, bzw. nach außen) gemacht werden. Sie werden ausgeführt, um Objekte zu fixieren, die sich auf eine Person zu- oder von ihr wegbewegen. Konvergenz ist die Fähigkeit, ein näher kommendes Objekt mit beiden Augen zu fokussieren. Divergenz ist die Fähigkeit, ein sich entfernendes Objekt mit beiden Augen zu fokussieren. Wenn eine Person gut konvergieren und divergieren kann, zeigen beide Augen eine kontinuierliche symmetrische Fixation auf ein bewegtes Objekt. Neugeborene sind noch nicht in der Lage, Vergenzbewegungen auszuführen (Kern, 2003). Bis zum Alter von drei Monaten sollte sich die Fähigkeit zur Konvergenz und zur Divergenz entwickelt haben. Zwischen der Konvergenz und der Akkommodation besteht eine enge Verbindung: Je geringer der Abstand zu einem Objekt, desto mehr Konvergenz und Akkommodation sind notwendig, um ein scharfes Netzhautbild zu erhalten.

Konvergenz ist die gleichzeitige aber gegensinnige Augenbewegung, die notwendig ist, um Objekte zu fixieren.

Wenn jemand keine Konvergenz und keine Divergenz zeigt, ist dies ein Hinweis, dass eine Störung des binokularen Sehens vorliegt. Die Störung der Vergenz kann dazu führen, dass Doppelbilder entstehen oder dass Informationen von einem Auge unterdrückt werden (vgl. Zihl, Priglinger 2002, 18). Die Überprüfung der Konvergenz und Divergenz ist daher eine gute Möglichkeit, Informationen über das Binokularsehen von Personen zu erhalten, bei denen die üblichen Stereotests nicht durchführbar sind. Probleme mit der Vergenz können mit ophthalmologischen, aber auch mit neurologischen Problemen Zusammenhängen.

Um die Konvergenz zu beobachten, wird ein Objekt, zum Beispiel ein kleines Spielzeug oder eine kleine Taschenlampe (evtl. mit Aufsatz – LED Taschenlampen sind oft zu hell), langsam auf die Augen zubewegt, um eine symmetrische Bewegung beider Augen nach innen hervorzurufen. Um die Divergenz zu beobachten, wird das Objekt in umgekehrter Richtung bewegt. Konvergenz kann anhand der folgenden Kriterien beschrieben werden: zentral, exzentrisch, stabil, instabil, flüchtig, nicht vorhanden (Hyvärinen, Jacob 2011, 5).

 

Lizenz

Sehfunktionen nach ICF-CY und Testverfahren zur visuellen Diagnostik Copyright © Fabian Winter. Alle Rechte vorbehalten.

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